Wind von allen Seiten
»Fischköppe«, kilometerlange Sandstrände und einsame Alleen – der Ostseeküsten-Radweg ist zu jeder Jahreszeit eine Radreise wert. Im Herbst mit Regen und Sturm entpuppt sich das vertraute Terrain jedoch schnell als kleines Abenteuer, wie Sandra Cammann aus eigener Erfahrung zu berichten weiß.
Text: Sandra Cammann / Bilder: Henning Cammann
»Achtung Felix, schau nach vorn!« Unser zweijähriger Sohn düst mit seinem Laufrad die alte Salzstraße Richtung Lübeck entlang. Kopfschüttelnde Spaziergänger springen erschrocken zur Seite. Unsere 8-jährige Tochter Lara läuft nebenher, damit Felix nicht die Böschung heruntersaust und im Kanal landet. Trotz absoluter Nebensaison sind wir mit Fahrrad, Zelt und zwei Kinderanhängern samt Laufrad Richtung Ostseeküsten-Radweg unterwegs. Diesmal wollen wir von unserem Zuhause in Lüneburg aus losradeln, ohne Gepäckstress und Flugtermine.
Aller Anfang ist schwer
Fäden wabern durch die Luft. Wir atmen instinktiv flacher und schließen die Verdecke der Kinderanhänger. Jetzt erst sehen wir die Warnschilder: Eichenprozessionsspinner – Lebensgefahr! Die Eichen stehen am Wegesrand und sind markiert. Wir treten daraufhin etwas schneller in die Pedale, was auf dem sandigen Untergrund ganz schön anstrengend ist. Erst gegen 17.30 Uhr erreichen wir den Campingplatz in Prüß am See. Zwei Stunden später ist es stockdunkel und wir bemerken zu spät, dass wir unser Zelt direkt neben einem Ameisenhaufen aufgestellt haben. Überall krabbelt es.
Am nächsten Morgen begrüßt uns die Herbstsonne. Frühstück gibt es auf die Hand, denn die Ameisen haben den Weg in alle Zeltöffnungen gefunden. Schnell bauen wir das Zelt ab, schütteln alle Taschen gründlich aus und machen uns wieder auf den Weg. Holprig führt uns die Salzstraße bis nach Mölln. Dann heißt es schieben: Einen steilen Aufstieg zur Straße, dann ist unsere Energie aufgebraucht. Eine Tankstelle ist unsere Rettung. Im Windschutz hinter dem Haupthaus schlagen wir unser Lager auf mit Brötchen, frischem Kaffee und Eis für die Kinder. Die Stärkung können wir gut gebrauchen, denn es wird ein langer Tag über die Bundesstraßen ohne Radweg. Gegen 19Uhr erreichen wir endlich in der Dämmerung Boltenhagen. Geschafft – von hier aus geht es auf dem Ostseeküsten-Radweg weiter.
Holprige Wege
Die ersten Meter auf dem Ostseeküsten-Radweg sind nicht ganz einfach. Zunächst müssen wir über verwinkelte Straßen den Radweg suchen, dann geht es auf einer engen Passage steil bergauf. Dabei dachten wir, an der Ostsee gibt es keine Berge. Die nächste Hürde für uns: Umlaufsperren. Mit unseren Anhänger sind die Metallmonster keine leichte Aufgabe. Unser Wendekreis ist groß und zum Abkoppeln die Gepäckzuladung zu schwer. Mit der Zeit werden wir jedoch zu Rangierprofis und bekommen diese Hürde auch noch hin. Gerade haben wir die Räder durchgefädelt, da warnen uns andere Radler vor dem sehr holprigen Sandweg mit Baumwurzeln, der vor uns liegt. Selbst mit Mountainbikes wäre zum Teil Rad-Wandern die einzige Alternative. Ein kurzer Blick in die Karte verrät uns, dass wir auch den neu ausgebauten Radweg neben der Hauptstraße nehmen können, um dann bald wieder auf dem Ostseeküsten-Radweg zu landen. Denn für heute haben wir keine Lust, weitere Hindernisse zu überwinden.
Hinter Wismar befahren wir einen einsamen Radweg fernab von Blechkisten. Es gibt sie also doch – die Idylle auf schönen, ruhigen Radwegen. Eine Ziegenherde begrüßt uns. Die Sonne lacht am Himmel und die verfärbten Blätter an den Bäumen sind Futter für die Seele. Wir stoppen an einem Hofcafé. Bei frisch gebrühtem Kaffee und selbstgebackenem Pflaumenkuchen genießen wir unsere kurze Pause. Wir schlendern durch den Hofladen, die Kinder spielen mit der Katze und bestaunen Hühner und die freche Ziege, die ihren Kopf neugierig aus der Scheune streckt.
Am späten Nachmittag erreichen wir Pepelow. Nach einer kurzen Runde über verschiedene Zeltplätze entscheiden wir uns für »Camping am Salzhaff«. Unser Zeltplatz ist idyllisch am Wasser gelegen. Wir genießen den Strandblick und sehen einen romantischen Sonnenuntergang. Beim Einchecken bekommen wir an der Rezeption eine Chipkarte für das »Familienbad«. Das speziell für Familien ausgestattete Duschbad ist besser ausgestattet als ein Firstclass-Hotel. Kleine Kinderwaschbecken, lustige Duschköpfe und beheizte Fliesen – wir wollen gar nicht mehr aufhören, zu duschen. Mit Stirnlampen machen wir uns dann aber doch wenig später auf den Weg und suchen das 300 Meter entfernte Zelt. Alle kriechen sauber und zufrieden in die Schlafsäcke und schlafen ein. Leider ist die folgende Nacht nicht sehr entspannt, denn alle fünf Minuten hören wir Schüsse. Die Kinder schlafen weiter. Wir liegen wach und grübeln darüber nach, welcher Jäger so viel Ausdauer hat oder ob es sich um eine automatische »Wachhalteanlage« handelt.
Die vollständige Tourenbeschreibung lesen Sie in der Ausgabe 4/2015 des Bike&Travel Magazins