Entfesselt bergab
Steil, einsam und wunderschön: Ein Netz aus kleinen, feinen Nebenstraßen durchzieht den Südschwarzwald. Das Gebirgsterrain zwischen dem Kandel und dem Belchen ist ideal für eine genussvolle Ochsentour mit dem Reiserennrad. Patrick Kunkel hat die Probe aufs Exempel gemacht.
Text und Fotos: Patrick Kunkel
Reiserennradgenuss auf gut Schwarzwälderisch geht in etwa so: Erst am Anstieg schnaufen wie ein überhitztes Zugpferd, dann schwitzen wie ein alter Ochse, und schließlich entfesselt bergab rauschen, fast so schnell wie die Gleitschirmflieger, die heute vom Gipfel des Kandel elegant talwärts gleiten, und vor lauter Glück darüber fast aus der Kurve fliegen.
Aber auch nur fast. Ingmar Kerschberger grinst breit, als wir nach der schnellen Abfahrt kurz vor St. Peter wieder zum Stehen kommen: »Der Kandel ist mein Lieblingsberg im Hochschwarzwald«, schwärmt der Jazzmusiker und passionierte Rennradfahrer. Ingmar lebt in Freiburg am Fuß des Schwarzwalds: »Von dort ist es ein Katzensprung. Ich weiß nicht, wie oft ich schon in den vergan-genen Jahren die Straße hochgefahren bin, die von Waldkirch auf den Gipfel führt. Das ist ein Berg, der süchtig macht!«
Ingmar bgleitet uns heute mit seinem leichtgewichtigen Rennrad auf der ersten Etappe unserer Südschwarzwaldtour. Was dann konkret heißt: Spätestens bei der ersten steilen Rampe am Kandel huscht er leichtfüßig um die Kurve und gerät außer Sicht, während wir unsere bepackten Reiserenner im Wiegetritt den Anstieg Richtung Kandelgipfel hinaufwuchten.
Steil wie L’Alpe d’Huez
Freiburger Rennradler lieben den »Berg der Kräfte«, wie der Kandel von der örtlichen Tourismusbehörde getauft wurde – und Kraft braucht man auch, um da hoch zu kommen! Nicht nur, dass er der höchste Gipfel im Mittleren Schwarzwald ist. Seine legendäre Nordwestanfahrt von Waldkirch aus hat dem 1.241 Meter hohen Berg unter Rennradlern den Ruf eingebracht, einer der härtesten Brocken des ganzen Schwarzwalds zu sein! »970 Höhenmeter auf zwölf Kilometer!« Ingmars Augen leuchten: »Wer den Kandel schafft, braucht Alpenpässe wie L’Alpe d’Huez nicht zu fürchten.« Aber auf Reiserennern? Mit schweren Gepäcktaschen? Ein Himmelfahrtskommando!
Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Die Strecke verläuft die meiste Zeit durch dichten Wald. Die steilen Rampen heizen uns mächtig ein, aber wir genießen die schattige Kühle des Blätterdachs. Erst weiter oben gibt es eine schöne Aussicht übers Rheintal: »Wenn man sie dann noch genießen kann«, meint Ingmar und lacht. Am Wegrand blüht gelber Ginster, Ramsele, wie sie hier dazu sagen. Hinter dem Gasthof Altersbach lauern zwar üble 16 Prozent Steigung, aber, ach, egal: der Wald duftet wunderbar harzig, ein Specht bearbeitet einen der Stämme mit beharrlich hallendem Klopfen. Und das steile Stück ist auch wieder vorbei. »Ziemlich schön«, keucht Sven, mein Mitreisender. Da können die geplagten Oberschenkel brennen wie sie wollen.
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Nebenstrecken von Hof zu Hof
Im Hochschwarzwald, meint Ingmar, gebe es ein richtiges Netz aus kleinen, feinen Nebenstraßen. Stundenlang könne man auf wunderschönen und einsamen Strecken unterwegs sein, praktisch ohne Autoverkehr. »Auf diesen Nebenstrecken von Hof zu Hof bekommt man einen Schwarzwald zu Gesicht, wie ihn die meisten Touristen nicht kennen lernen, die sich bloß für Wurstsalat, Kuckucksuhren und Bollenhüte interessieren. « Es gebe unzählige dieser Hof-zu-Hof-Verbindungswege hier oben, einige davon seien auf keiner Karte eingezeichnet, aber demjenigen, der sie wie wir gefunden hat, erschließt sich der echte, ungefilterte Schwarzwald jenseits der Hochglanzprospekte, wo man auch mal auf einen Schnaps eingeladen wird, eine halbe Lebensgeschichte erzählt bekommt oder dem kalbsgroßen Hofhund das Fell hinterm Ohr kraulen darf – aber auch mal ranzige, wortkarge Sonderlinge, die die Auskunft nach dem richtigen Weg verweigern. Aber ohne Anstiege, literweise vergossenen Schweiß und brennende Oberschenkel ist auch der Schwarzwald-Genuss jenseits der ausgetretenen Pfade definitiv nicht zu haben.
»Gut, dass wir nicht sowas wie den Südschwarzwald-Radweg genommen haben«, sagt Sven – diese Radroute verspricht nämlich eine Schwarzwaldtour ganz ohne Höhenmeter: »Wie langweilig. Das ist vielleicht weniger anstrengend, aber garantiert auch weniger schön!«, sinniert Sven, während wir etwas abseits des Gipfelparkplatz im Schatten einer Weidbuche eine Vesper auspacken und den Blick weit über die Rheinebene schweifen lassen. Freiburg liegt da unten im Tal, Waldkirch und Emmendingen. In der Ferne ragen die dunklen Silhouetten des Kaiserstuhls und dahinter der Vogesen aus dem Dunst.
GPS-Daten | Länge 217,1 km | Webcode #6697 | GPX Track herunterladen
Die vollständige Tourenbeschreibung lesen Sie in der Ausgabe 3/2016 des Bike&Travel Magazins.