Stille Landpartie im Osten
Die Reise, die Thorsten Brönner abseits der Touristenpfade auf dem Mulderadweg unternommen hat, eröffnet spannende Einblicke ins Mittelalter. Längs der Strecke reihen sich Burgen, Schlösser, Klöster und charmante Kleinstädte auf. Wer ein wenig Kondition mitbringt, erlebt ruhige Tage im Sattel, denn man kann die Zwickauer Mulde und die Freiberger Mulde über den Radweg der Sächsischen Mittelgebirgsroute zu einer Mehrtagesfahrt kombinieren.
Text/Bilder: Thorsten Brönner
Eine Flussradtour beginnt man wo? Klar, an der Quelle! Die Mulde hat aber zwei Wasserläufe. Sie entspringen im Erzgebirge und vereinen sich beim Ort Sermuth. Dort starte ich. Zuerst soll es der Zwickauer Mulde entlang gehen. Also Lenker stromaufwärts! Richtung Süden. Rechts fällt mein Blick auf den dahineilenden Fluss. Das Ufer steigt sanft an, geht in sattgrüne Wiesenstreifen über. Es folgt der Fahrweg und ein Laubwäldchen. Es ist Ende April. Zaghaft öffnen sich an den Ästen die Knospen. Noch ist es mit zehn Grad frisch. Immer wieder spitzt die Sonne aus der Wolkendecke hervor, wärmt die Haut. Nach fünfzehn Minuten erhebt sich voraus das Schloss Colditz. Es sitzt auf einem Felssporn. Seine Fassade ist weiß. An den Rändern sieht man goldgelbe Verzierungen, darüber rote, ineinander verschlungene Dächer. Lucas Cranach der Ältere verewigte die Schauseite des Prachtbaus Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem Gemälde »Das Goldene Zeitalter«. Die folgenden 28 Kilometer sind gespickt mit weiteren Herrensitzen: Schloss Rochlitz, Schloss Wechselburg, Schloss Rochsburg. Hinter Lunzenau prangt auf einem gelben Ortschild der Schriftzug »Amerika«. Hier stehen ein paar Häuser, dort der ehemalige Bahnhof und eine Brücke – das war es auch schon. Das Dorf entstand aus einer Druckerei, die man nur über die Mulde erreichte. Besucher zog man mit einem Kahn über das Wasser. So erhielt die Siedlung ihren klangvollen Namen.
Trabbis und das sowjetische Atomprogramm
In einem stetigen Auf und Ab rolle ich nach Zwickau hinein. Im Stadtteil Mosel fällt mir das riesige Betriebsgelände von VW auf. Die Tradition der Fahrzeugherstellung reicht in der Automobilbaustadt bis ins Jahr 1904 zurück. Im April 1991 lief hier der letzte »Trabbi« vom Band. Insgesamt montierten die Arbeiter vor Ort 3 Millionen der putzigen Zweitakter.
Das Herz der restaurierten Altstadt von Zwickau bildet der Dom. Er gilt als Musterbeispiel der obersächsischen Spätgotik. Im Inneren birgt er einen kostbaren Flügelaltar, den man Michael Wolgemut zuschreibt. Die berühmteste Person Zwickaus war der Komponist Robert Schumann. Er kam am 8. Juni 1810 am Hauptmarkt Nr. 5 zur Welt. In dem maisgelb angestrichenen Haus kann man 4.000 Originalhandschriften Robert Schumanns und seiner Gattin, der Pianistin Clara, bestaunen.
Die viertgrößte Stadt Sachsens verschwindet im Rücken. Die Mulde gibt wieder den Weg vor. Zwischen Bad Schlema und Aue fallen mir mehrere Hügel über dem Tal auf. Sie sind steil, nur hier und da mit einzeln stehenden Laubbäumen bestanden und wirken unnatürlich. Der Hunger und die Kälte treiben mich in einen Supermarkt. Vor mir steht ein älterer Herr an der Kasse. Er ist ca. 1,60 m groß, trägt eine schwarze Bergbaumütze. Draußen spreche ich ihn auf die sonderbaren Aufschüttungen an. »Das sind Halden des Uranabbaus.« Er deutet ans östliche Flussufer. »Da ist eine. Dort die nächste und ganz oben sehen Sie noch eine. Damals fuhren Züge hinauf. Wir bereiteten das Uran auf. Den letzten Arbeitsschritt haben aber die Sowjets gemacht«. Ich frage vorsichtig, »war der Abbau für Sie nicht gesundheitsschädlich«? »Ach, wissen Sie, wer ohne Kühlung arbeitete, war selbst schuld. Aus meinem Trupp leben noch sechs Leute und ich bin neunzig«. Lacht und spaziert mit seiner Tragetasche nach Hause.
Nachdenklich bleibe ich zurück. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete sich genau vor dreißig Jahren: Am 26. April 1986 war die Welt eine andere!
GPS-Daten | Länge 585 km | Webcode #0061 | GPX Track herunterladen
Die vollständige Tourenbeschreibung lesen Sie in der Ausgabe 4/2016 des Bike&Travel Magazins.
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