Dolce Vita steht für Lebensfreude, Müßiggang, Entspannung und Vergnügen. Genuss, gutes Essen, Espresso im Café. Es ist das Sinnbild des italienischen Lebensgefühls. Italien, also! Nicht Oberbayern. Und doch versteckt sich im hintersten Winkel Deutschlands ein Kleinod, das sämtliche Begehrlichkeiten des »süßen Lebens« in sich vereint. Ok, es fehlt das Meer, doch auch der Gardasee ist ein italienischer Sehnsuchtsort – ganz ohne Adria oder Rivera. Dafür mit Bergen. Und Süßwasser. Genau wie im bayerischen Reit im Winkl, dem 2.300-Einwohner-Dorf, in dem ich aufgewachsen bin und dessen Charme ich erst so richtig erkannte, als ich meine Heimat verlassen hatte.
Reit im Winkl (696 m) befindet sich ganz im Süden der Chiemgauer Alpen an der Grenze zu den beiden österreichischen Bundesländern Tirol und Salzburg. Im Norden verbindet der Masererpass (793 m) den Ort mit dem Achental, an dessen Ende sich der Chiemsee – das »Bayerische Meer« – ausbreitet. Wir befinden uns also im Dreiländereck Bayern-Tirol-Salzburg. Topografisch betrachtet – und auch was die Anbindung an die nächste Nachbargemeinde betrifft – müsste Reit im Winkl genau genommen eigentlich zu Tirol gehören.
Der Legende nach wurde der versteckte Ort bei der Landverteilung durch Napoleon aber schlichtweg vergessen. Die Landesherren von Bayern, Salzburg und Tirol setzten sich darauf hin zum Kartenspiel zusammen. Bayernkönig Max I. Joseph gewann Reit im Winkl für Bayern durch einen Stich mit dem Schellunter«, der seitdem ein Symbol des Ortes ist.
Heute sind die Reit im Winkler stolze Bayern, die sich doch ihre ganz eigene Identität bewahrt haben. Hier klingt der oberbayerische Dialekt etwas anderes, hier treffen sich die Tradition und Kulinarik dreier Bundesländer, hier verschwimmen Landesgrenzen. Und wenn sich der Nebel im Alpenvorland hartnäckig hält, grinsen die Reit im Winkler in die Sonne und denken sich ihren Teil zu den Witzen über die abgelegene Lage ihres Dorfes. Die Natur hier oben, am äußersten Südzipfel des Landkreises Traunstein zeichnet sich durch ihren Wasserreichtum und die umliegenden Berge aus, die hier weit in den Himmel ragen, aber trotzdem nicht abweisend wirken.