Durch die wildesten und abgelegensten Bergregionen des Westbalkans führt der 192 Kilometer lange Fernwanderweg »Peaks of the Balkans«. Lisa Röthig erkundete zusammen mit ihrem Freund Pierre und Hund Lotte auf alten Hirten- und Handelswegen die hochalpine Berglandschaft von Albanien, Montenegro und dem Kosovo. In zehn Tagesetappen geht es bis auf 2.300 Meter über dem Meeresspiegel, vorbei an atemberaubenden Landschaften, die vom grünen Tal bis zu kristall-klaren Bergseen, über türkisblaue Flüsse bis hin zu den abgelegensten, malerischen Bergdörfern reichen, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.
Ein leises Rascheln dringt an mein Ohr, holt mich langsam aus meinem Schlaf. Behutsam öffne ich meine Augen und schaue mich um. Um mich herum befindet sich eine grüne Plane, umhüllt mich wie einen Kokon. Begleitet von einem jaulenden Geräusch wird sie energisch vom Wind hin- und hergeschaukelt. Es ist die Plane unseres kleinen Zwei-Mann-Zelts, das uns nun, dank unseres neuen vierpfoti-gen Zuwachses Lotte von Albaniens Straßen, als Zwei-Mann- und Ein-Hund-Zelt dient.
Der Vierbeiner hat sich an unserem Fußende zu einem kleinen, runden und flauschigen Fellknäuel zusammengerollt. Mein Freund Pierre schläft noch. Vorsichtig robbe ich aus meinem Schlafsack, öffne behutsam den Reißverschluss unseres Zelts und stre-cke meinen Kopf nach draußen. Sofort peitscht mir ein eisiger Windstoß ins Gesicht und ich beginne zu frösteln. Das hält mich aber nicht davon ab, mir meine dicke, blaue Daunenjacke zu schnappen und aus dem Zelt zu krabbeln.
Die unzähligen Gipfel des Balkangebirges um mich herum werden von den ersten Sonnenstrahlen des Tags geweckt und golden-orange angestrahlt. Noch immer kann ich es kaum glauben, dass ich mich auf 2.000 Me-tern Höhe befinde. Unter mir, noch im Halbdunkel der Dämmerung, liegt das Valbona Valley, zu dem wir heute nach dem Frühstück aufbrechen werden.
VERFLUCHTE BERGE
Das Prokletije-Gebirge, was auf Deutsch so viel wie »verfluchtes oder verwunschenes Gebirge« heißt, trägt seinen Namen nicht ohne Grund. Noch bis vor Kurzem galt die Region im Dreiländereck Albanien, Montenegro und Kosovo als absolute Tabuzone. An Wandern war hier lange nicht zu denken. Noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kein entwickeltes Wirtschaftssystem. Jegliche Industrie sowie eine funktionierende Gesundheitsversorgung, Polizei, Justiz und Schulen fehlten. Gehandelt wurde ausschließlich mit Naturprodukten. Wiederkehrende Unruhen und Kriege haben, vor allem in den Grenzgebieten, noch heute deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.
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