Ausgestreckt liegt sie da, als würde sie auf jemanden warten, der sie entdeckt, erkundet und erwandert: Die Insel Usedom, die auch »Sonneninsel« genannt wird, denn kaum ein anderer Ort Deutschlands kann dem Eiland mit durchschnittlich 1.906 Sonnenstunden pro Jahr das Wasser reichen. Wer hierher fährt, ist ganz schnell raus aus dem Alltag – und wird erstaunt sein, was die Insel so alles zu bieten hat.
Es ist nur ein leises Rauschen, das sich zwischendurch verstärkt und dann wieder abebbt. Es ist die Melodie des Schilfs, das sich im sanften Wind mal mehr, mal weniger bewegt. Ein hölzernes kleines Fischerboot liegt versteckt an einem kleinen Steg. Keine halbe Stunde ist es her, da war ich noch im Auto und bin vom Festland über die Zecheriner Brücke gefahren, habe den Peenestrom überquert und bin irgendwann bei Suckow links abgebogen, bis die Straße in einer Sackgasse endete – und plötzlich bin ich in einer anderen, ganz leisen Welt.
Links von mir das tiefe Blau des Achterwassers – so wird die 15 Kilometer breite und zehn Kilometer lange Lagune des in die Ostsee mündenden Peenestroms genannt – rechts ein paar Wiesen, auf denen Kühe weiden. Ich bin im Lieper Winkel – einer Halbinsel, die zum Usedomer Hinterland gehört. Und sie ist wohl das versteckteste Eckchen von ganz Usedom. Die kleine Wanderung führt am Wasser entlang, und meine Schritte über den Deich sind lautlos, denn der Boden ist sandig. Reiher, Kormorane und Möwen fliegen vorbei, auf dem Achterwasser paddelt ein Kajakfahrer gemütlich in Richtung Norden.
Einer Sage nach hört man hier bei Wind oder Nebel ab und zu vier Frauen weinen. Sie wollten angeblich an einem Sonntag über den kleinen Berg in die Lieper Kirche zum Gottesdienst gehen. Doch auf dem Hügel begegnete ihnen ein Spielmann, der sie zum Tanz lud. Die Frauen tanzten und vergaßen dabei den Gottesdienst – und plötzlich verwandelte sich der Spielmann in den Teufel, und der Berg tat sich unter den Frauen auf und verschlang sie.
Ich schaue hinüber zum Berg und erwarte, gleich sogar ein Weinen zu vernehmen. Doch es bleibt still. Ich wandere durch eine Reihe mit Blumen gesäumter Felder, durch Wälder und eines der kleinen verträumten Dörfchen der Halbinsel mit ihren bunten Fischerhäusern und reetgedeckten Fachwerkhäusern. Es ist, als sei hier die Zeit stehengeblieben. So lasse ich mich treiben, wandere gemütlich in drei Stunden knapp zehn Kilometer weit, bevor ich mich wieder in mein Auto setze und weiterfahre.
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