Das Massif des Cerces besticht durch seine Ursprünglichkeit und ein von der Erosion modelliertes Landschaftsspektakel, das seinesgleichen sucht. Angrenzend ans italienische Piemont, teilen sich im Südosten Frankreichs die Départements Hautes-Alpes und Savoie diesen Gebirgskomplex. Azurblaue Seen, wilde Gebirgskessel, bizarre Felsformationen zwischen Almwiesen und Mondlandschaft – Vielfalt und Kontraste bezaubern auf einer Runde über den Mont Thabor.
Über Nacht hat es tief herunter geschneit, die herrliche Herbstlandschaft mit einem filigranen Zuckerguss überzogen. Doch weiter oben sieht es sehr winterlich aus. Werden wir unsere geplante Überschreitung sommer und Herbst sind solche Überraschungen ganz gewöhnlich und mit ein Grund, warum die französischen Hütten schon Mitte September schließen. Doch der wahre Farbenrausch des Jahres ist dann noch nicht entflammt, der im Vallée de la Clarée und im Vallée Étroite besonders prächtig stattfindet.
Diesem Erlebnis wollten wir uns einfach nicht entziehen, Hüttenöffnungszeiten hin oder her. Dank sei den Winterräumen, die jede Alpenvereinshütte in der Regel offeriert. Also gehört noch gehörig Futter mit ins Gepäck, um sich abends etwas Warmes kochen zu können. Je nachdem wie man seine Route plant, zumindest für eine Hüttenübernachtung, denn im Vallée Étroite gibt es eine Unterkunft, die manchmal im Oktober an Wochenenden geöffnet ist, und im Vallée de la Clarée ein Domizil, das sogar ganzjährig Gäste aufnimmt.
In Letzterem treffen wir uns mit Josef, einem waschechten Augsburger, dem die Französischen Alpen ein Fremdwort sind, der sich aber gerne überraschen lässt. Seine weite Anreise über München hat ihn sichtlich Nerven gekostet. Die Falten glätten sich jedoch augenblicklich angesichts dieses Juwels, das sich hinter der Alpenstadt Briançon verbirgt.
Im Dunklen angekommen, nimmt er zunächst erst einmal das gemütliche hölzerne Interieur von »La joie de Vivre«, unserer Unterkunft in Névache-Salé wahr. Dann das kreative, mit lokalen Kräutern und Gemüse angereicherte Abendessen – Essen wie Gott in Frankreich kommt nicht von irgendwo her –, bevor er sich totmüde ins Bett fallen lässt.
Morgens dann der Blick in die Kulleraugen von stolzen Andentieren, die neugierig ins Schlafzimmer hineinblicken. Josef reibt sich die Augen. Kein Traum. Ein Teil der Gästezimmer von »La joie de Vivre« befindet sich mitten in einem Lamagehege. Drumherum breitet sich eine fast schon parkähnliche Landschaft aus. Wie ausgeschnitten wirkende Wacholderbüsche, leuchtende Birkenhaine, Eschen mit ihren roten Dolden und ausgedehnte Wiesen im weiten Talgrund von Névache, wo sich in lockeren Gruppen drei Ortsteile aneinander reihen. Traditionelle Architektur aus Holz und Stein überwiegt.
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