Teilung und Wiedervereinigung: Die deutsche Hauptstadt ist stark von ihrer jüngsten Geschichte geprägt – aber nicht nur. Auch die Boomzeit vor mehr als 100 Jahren ist spannend, war Berlin doch die größte Industriemetropole Europas. Noch heute entdeckt man in der modernen Großstadt Spuren davon – während erlebnisreicher Radrouten zur Industriegeschichte.
Früher muss hier extrem viel los gewesen sein. Dutzende Gleise durchschnitten die Gegend, ein Zug nach dem anderen fuhr in den Bahnhof ein, große Mengen Waren wurden in die benachbarten Lagerhallen gebracht. Der Lärm war sicher ohrenbetäubend. Und dann die Menschenmengen! Immerhin war der Anhalter Bahnhof in Berlins Zentrum einer der wichtigsten Fernbahnhöfe der Stadt. Kaiser Wilhelm II. empfang hier sogar ausländische Gäste wie den russischen Zar Nikolaus II.
Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Vom einstigen Verkehrsknotenpunkt sind zunächst nur noch ein Teil des Eingangstores und einige Gleise zu sehen. Ansonsten aber radeln wir an Bäumen und Grünflächen vorbei und könnten angesichts der Ruhe dabei fast vergessen, dass wir uns mitten in der Hauptstadt befinden. Der Anhalter Bahnhof ist damit auch ein Beispiel für die wechselhafte Industriegeschichte Berlins, das einst als modernste Stadt Europas galt.
Durch die Weltkriege und die spätere Teilung ist einiges davon verloren gegangen – allerdings nicht alles. Denn wenn man genau hinschaut, entdeckt man noch viele Spuren der industriellen Vergangenheit. Genau damit beschäftigen sich auch gleich mehrere Radtouren, die vom Berliner Zentrum Industriekultur (bzi) konzipiert wurden. Ihr Ziel: Die Hauptstadt entlang verschiedener Strecken und anhand unterschiedlicher Themenschwerpunkte neu zu entdecken.
»Die industrielle Entwicklung hat die Stadt einst revolutioniert«, berichtet Antje Boshold vom bzi. Fabriken, Verkehrsnetze und Forschungsstätten wurden gebaut, Elektrizität und Wasserversorgung wurde immer wichtiger. Gerade um die Jahrhundertwende von 1900 sei der Boom so groß gewesen, dass Berlin als »Spree-Chicago« bezeichnet wurde. »Fachleute aus der ganzen Welt kamen hierher, um sich über die modernen Entwicklungen zu informieren.« Übrig geblieben sind historische Gebäude, Brücken, Kräne, Fassaden und jede Menge rostige Strukturen und Brachflächen. »Berlin ist ein riesiges Freilichtmuseum der Industriekultur«, sagt Antje Boshold.
AB AUF DEN SATTEL
Drei der Radtouren starten am Deutschen Technikmuseum – und auch wir beginnen an einem Sommertag dort unsere Erkundungen. Für unseren Ausflug haben wir uns die Tour Nummer 5 ausgewählt. »Eisenbahn und Landebahn« heißt sie und führt südlich des Potsdamer Platzes zu alten Gleisen, einem ehemaligen Flughafen und einem Hafen mitten in der City.
Rund 20 Kilometer liegen vor uns. Doch unser Start verzögert sich, denn schon am Technikmuseum legen wir den ersten Stopp ein und holen unsere Kameras heraus. Über dem Gebäude schwebt äußerst fotogen ein Rosinenbomber, also eines der Flugzeuge, das den Menschen in West-Berlin während der Luftbrücke 1948/49 Lebensmittel und anderes Lebenswichtiges brachte. Während wir versuchen, den Flieger, das Museum und ein Fahrrad auf einem Foto zu vereinen, merken wir, wie besonders auch die Umgebung ist. Der Verkehrsmix ist einzigartig: Über uns rattert eine U-Bahn auf einer Hochbahntrasse hinweg, daneben sehen wir eine Fußgängerbrücke, neben uns fahren Autos über die Straße und auf dem Kanal dahinter ziehen gerade bunte Kajaks vorbei. Im Untergrund und für uns damit unsichtbar kommt sogar noch der Tunnel einer S-Bahnlinie hinzu.
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