Die Donau schlängelt als Grenzgängerin zwischen den Welten. In Budapest noch von Prachtbauten umrahmt, verwandelt sie sich ostwärts in einen wilden Fluss. Die Route führt vom glatten Asphalt der Pannonischen Tiefebene zu den staubigen Pisten Serbiens, wo sich die wahre Seele des Stroms offenbart.

Hunger zerrt an mir. Die Müdigkeit steckt in den Knochen. Doch das ungarische Parlament lässt all das kurz vergessen. Golden leuchtet es, wie ein riesiges Schmuckkästchen aus einer anderen Epoche. Ein prächtiger Anblick nach 255 erkämpften Tageskilometern. Die Donau ist mittlerweile zu einer Königin unter Europas Flüssen geworden. Sie ist nicht mehr das bescheidene Rinnsal wie vor fünf Tagen in Donaueschingen. Jetzt ist Zeit für einen Ruhetag, bevor es in den wilden Osten des Kontinents geht.
Drei Länder, zwei Hauptstädte, ein Tag
Deutschland und Österreich liegen hinter mir. Nach 971 Kilometern beginnt nun der unbekannte Teil der Reise bis zum Schwarzen Meer. Was für ein Tag des Triumphs: drei Länder, zwei Hauptstädte, dazwischen atmet viel Natur. Der Tag startet um fünf Uhr morgens in Hainburg an der Donau. Noch schläft die Stadt, als ich mein Rad aus dem Gasthof zum »Goldenen Anker« rolle. Schemenhaft gleiten die finalen Streckenabschnitte Österreichs durch das Zwielicht der weichenden Nacht. Wie ein Autoscheinwerfer durchschneidet die Fahrradlampe die Dunkelheit, während die Reflektoren am Straßenrand den Weg nach Bratislava weisen.
Die slowakische Hauptstadt erwacht sanft. Ein Jogger teilt sich den top ausgebauten Radweg mit einem Feldhasen – als wollten sie zeigen, dass Natur und Stadt hier in perfekter Harmonie existieren. Ein glitzernder Schleier aus Morgentau schmückt die erwachenden Wiesen. Über den Baumwipfeln erhebt sich die Burg von Bratislava. Majestätisch zeichnen sich die vier Türme gegen den Morgenhimmel ab. Nebenan schlängelt sich die Donau durch die Stadt. Hinter historischen Fassaden recken sich die neuen Türme des prosperierenden Bratislava in den Himmel.
Zwischen Strom und Stille
Die Stadt ist eine markante Wegmarke. Entlang der Donau reihen sich viele aneinander: historische Zentren wie Mündungen anderer Flüsse. Europas großer Strom nimmt sie alle auf und trägt ihre Geschichten mit sich fort. Bratislava bleibt zurück. In der Slowakei glänzt der Donauradweg: breit, asphaltiert und dazu ist kaum was los. Mühelos rollt das Rad durch die blühende Frühlingslandschaft.
Plötzlich zaubert die Morgensonne einen perfekten Regenbogen über die Große Schüttinsel. Die Donau schlängelt sich hier durch ein Labyrinth aus Eilanden und Seitenarmen. Zwischen den Flussarmen verbirgt sich eine geheimnisvolle Welt: unberührte Auwälder neben kristallklaren Grundwasserseen. Nicht umsonst trägt die Region den Namen »Slowakisches Mesopotamien «. Hier bieten üppige Feuchtwiesen und verwunschene Wasserwälder unzähligen Vögeln und seltenen Amphibien einen ungestörten Lebensraum.
Ein steter Wandel begleitet die Fahrt entlang der Donau: Nach drei Ländern enthüllt nun Ungarn seine Landschaften. Voraus lockt das Donauknie. Hier verlässt der Strom seinen Ostkurs und knickt Richtung Süden ab. Die langgestreckten, bewaldeten Höhenzüge des Visegráder Gebirges rahmen das Landschaftsgemälde ein.
Budapest: Große Bühne, großer Fluss
Wo die Gebirge zurückweichen, öffnet sich nach Süden und Osten die Pannonische Tiefebene. Diese ist vollständig von Gebirgen umgeben: den Ausläufern der Alpen, den Karpaten, dem Balkangebirge und den Dinarischen Alpen. In Ungarn spricht man vom Karpatenbecken.
Mein Plan sah vor, am Ostufer entlang ins Zentrum von Budapest zu fahren. Doch die notwendige Fähre macht heute Nachmittag Pause. Der frühe Aufbruch im Jahr hat seine Vor- und Nachteile. Trotzdem: Die Kulisse und das überwältigende Gefühl bei der Einfahrt in die Stadt sind immer gleich. So weit sind wir schon gekommen! Nach 255 Kilometern sehnen sich die Beine nach Ruhe, der Magen nach Nahrung.
Beiderseits der Donau reiht sich Prachtgebäude an Prachtgebäude. Alles verblasst vor dem hell erleuchteten Parlament. Wie eine gotische Kathedrale aus Gold und Licht thront seine neugotische Architektur mit der markanten Kuppel und den spitzen Türmen über der Stadt – ein Märchenschloss am Strom.
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