Unterwegs im Pollino-Nationalpark
Kalabrien. Schon beim Aussprechen dieses Wortes schwingt Urlaub, Kultur und gutes Essen mit. Viele verbinden diese Region jedoch hauptsächlich mit langen, weißen Adria-Stränden und Badeurlaub. Aber gerade die noch sehr ursprüngliche Bergwelt zwischen Pollino und Aspromonte bietet im Frühling und Herbst ein abwechslungsreiches Potential für Wanderer, wie Bernd Ritschel feststellen konnte.
Text/Bilder: Bernd Ritschel
Schon bald nach der Autobahnabfahrt »Frascineto« beginnt die Straße anzusteigen. Im Süden erstreckt sich die für Kalabrien typische, nur mehr leicht hügelige Landschaft Richtung Mittelmeer. Im Norden ziehen schroffe, von knorrigen Fichten, Pinien und weit oben Kiefern bewachsene Flanken in die Höhe. Nach einer scharfen Linkskurve steige ich abrupt auf die Bremse und bleibe stehen: Da liegt es, das Ziel unser Reise – Civita. Was für ein magischer Platz. Exponiert thronen die ersten Häuser auf einem wuchtigen Felssockel. Weiter talein erstreckt sich das ursprünglich albanische Dorf weit die Hänge hinauf. Schmale Gassen führen zu kleinen Plätzen mit Brunnen. Dazwischen typisch italienische Bars, kleine Läden und das ein oder andere Albergo.
Ein paar Straßenarbeiter empfehlen uns hilfsbereit das »Belvedere«, in ihren Augen die beste Unterkunft im Ort mit »buona colazione« (richtig gutem Frühstück). Sie sollen Recht behalten. Dort angekommen, begrüßen uns Gianluca und seine Frau ganz herzlich. In den frisch und sehr liebevoll renovierten Zimmern werden wir es uns jetzt eine Woche lang gut gehen lassen. Aber noch bevor alle Taschen verräumt sind, packt mich meine Tochter und führt mich freudig aufgeregt auf den kleinen, gepflasterten Platz hinter dem Haus. Gemeinsam lehnen wir uns über eine massive Natursteinmauer und schauen beeindruckt hinunter in die Schlucht des Raganello. Dahinter zieht die Wand des Pietra del Demanio (»Stein der Teufel«) mit fast 800 Metern senkrecht in die Höhe. Selten zuvor bin ich an einem derart eindrucksvollen Ort gestanden. Nur wenig später werden diese Eindrücke noch einmal übertroffen: Ich traue meinen Augen kaum, als ich fast ein Dutzend gewaltige Bartgeier in der warmen Thermik der Wand kreisen sehe.
Frisch gestärkt auf die erste Wanderung
Unser erstes Frühstück: selbst gebackener Kuchen, Schinken aus der Region, ein Omelett mit frischen Kräutern, regionales Gebäck, dazu Obst, Marmelade, Käse und ein zufriedenes Lächeln von Gianluca. Ausgeschlafen und frisch gestärkt wollen wir heute eine erste Wanderung versuchen. Gefühlte 128 Kurven später erreichen wir Cerchiara di Calabria, ein weiteres verwunschenes Bergdorf, am Fuß des Monte Sellaro. Bei der Wallfahrtskirche Santuario Santa Maria delle Armi beginnen wir unsere Tour. Eine steile Pflasterstraße führt uns hinein in den Wald. Ein letzter hölzerner Wegweiser im Ginster und dann kommt lange nichts.
Wanderungen in Kalabrien sind überhaupt nicht vergleichbar mit Touren in den Alpen, wo uns zahlreiche Wegweiser und eine Flut rotweißer Markierungen ein Verlaufen unmöglich machen. Nach den letzten Bäumen ändert sich abrupt das Landschaftsbild. Aus Grün wird Grau, aus Wiesen wird eine karstige und schroffe Felslandschaft. Zuletzt folgen wir weglos einem weiten Rücken Richtung Gipfel.
Wolkenfetzen jagen im kühlen Nordwind über die Grate, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Clarissa meint nur lapidar: »Bei dem Wind sei das Erreichen des Gipfel nicht wichtig. « Ein paar Kekse und einige motivierende Sätze später steigen wir weiter bergan. Am Gipfel markiert ein einfaches Holzkreuz auf einer Eisenstange den höchsten Punkt. Als wenig später die Wolken aufreißen, genießen wir einen gewaltigen Blick über den Pollino-Nationalpark, den größten Nationalpark Italiens: im Norden erheben sich Dutzende, bis zu 2.200 Meter hohe Gipfel, dazwischen Schluchten, Hochplateaus und steile Felswände, im Osten und im Westen begrenzt das Meer diese noch sehr ursprüngliche Region.
Vergnügt steigen wir am späten Nachmittag wieder ab und besichtigen ganz still und romantisch am Abend noch das Santuario Santa Maria delle Armi. Erst spät am Abend lassen wir, zurück in Civita, den Tag im Ristorante La Kamastra ausklingen. Nach wunderbaren Pilzen in Öl, einem unglaublichen Wildragout und natürlich auch Fisch aus dem nahen Meer wird eines sehr schnell klar: morgen werden wir wohl erst mal ausschlafen…
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe 06/2015.