Sardinien wird auch als die »Karibik Europas« bezeichnet. E-Biker finden hier nicht nur türkisfarbene Buchten und schroffe Klippen, sondern auch märchenhafte Höhlen und malerische Fischerdörfer.
Die senkrecht ins Meer abfallenden Klippen flößen Respekt ein. Und bei starkem Wind noch etwas mehr als sonst. In Böen fegt er über das karge Plateau und wirbelt Sand und Staub auf. In der Tiefe prügeln schwere Brecher unablässig auf die Klippen ein, manchmal so heftig, dass der Boden unter den Füßen leicht vibriert. Der Faro Mangiabarche, der weiße Leuchtturm auf einem vorgelagerten Felsenriff, wird immer wieder vom schäumenden Inferno verschluckt. Lediglich ein Schwarm Stare scheint sich vom Wind nicht stören zu lassen. Im Gegenteil: Kaum einen Steinwurf von der Klippe entfernt, vollführen Tausende von schwarzen Vögeln mit verblüffend synchronen, wellenartigen Bewegungen eine Choreografie, die ihresgleichen sucht.
Seit dem frühen Morgen erkunden Rob und ich mit dem E-Bike Sant’Antioco. Die 88 Quadratkilometer große Insel vor der Südwestküste Sardiniens ist das erste Ziel unserer Sardinienreise. Gern hätten wir die zweitgrößte italienische Insel komplett mit dem Rad umrundet, aber da wir nur acht Tage zur Verfügung haben, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Stattdessen fahren wir vom Flughafen Cagliari mit dem Leihwagen um die Insel und mieten an ausgewählten Orten E-Bikes, um die schönsten Küstenregionen zu erkunden.
Sant’Antioco hat sich seinen Platz in dieser Auswahl redlich verdient. Von der gleichnamigen Inselhauptstadt geht es bei mildem Spätsommerwetter auf Sandwegen zunächst zwischen hohen Bambusstauden, später am Strand entlang nach Norden zum gemütlichen Fischerdorf Calasetta und von dort auf ruhigen Nebenstraßen entlang der spektakulären Westküste nach Süden. Dort folgen wir nun gebannt dem Schwarmverhalten der Stare – und ahnen nicht, wie sich das Wetter allmählich ändert.
IRGENDETWAS STIMMT NICHT
Weiter südlich wird die Landschaft bergiger, karger und einsamer. Die Teerstraße weicht einer staubigen Piste, gesäumt von Ruinen und einzelnen Villen mit hohen Zäunen und Überwachungskameras. Erst von einer Anhöhe aus bemerken wir die schwarzen Wolken, die sich schnell und bedrohlich vom Meer nähern. Zu allem Überfluss verpassen wir auch noch eine Abzweigung. Als wir schnaufend den verfallenen Leuchtturm auf Capo Sperone erreichen, bricht die Hölle los.
Harte Regentropfen peitschen uns ins Gesicht, Blitze zucken und der Donner hallt zwischen den Bergen. »Bloß weg von hier!« schreit Rob und braust davon. Ich hetze hinterher, komme aber nicht weit: Der Schlamm der aufgeweichten Piste blockiert die Räder und die Schwerkraft tut ihr Übriges. Mit einem dumpfen Schlag lande ich auf dem Boden. Hinzu kommt, dass der Fahrradkorb beim Sturz vom Lenker abgebrochen ist. Da auch Robs Reifen blockieren, bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, als die schweren Bikes zu Fuß hinunterzutragen und dort mit den Fingern vom Schlamm zu befreien.
Als die Inselhauptstadt Sant’Antioco endlich auftaucht, dämmert es längst. Und wir sind noch nicht am Ziel, denn in einem Schlagloch löst sich der eilig mit Draht gesicherte Radkorb und wird vom Auto eines italienischen Ehepaars mitgeschleift. Nur mit Mühe gelingt es uns, den eingeklemmten Korb zu befreien. Das Paar ist zunächst freundlich, denn das Auto ist offenbar nicht beschädigt.
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