Brot und Butter, Topf und Deckel, Seefeld und Gravelbike – manche Beziehungen passen einfach. In letzterem Fall verbinden sich spektakuläre Landschaft und sportlicher Genuss zu einer neuen Liebe.
In Christophs Brust schlagen zwei Herzen: eins fürs Mountainbike und eins fürs Rennrad. Sein erstes Rennrad bekam er zur Firmung: ein gebrauchtes Motobécane mit sagenhaften zehn Gängen. In der Sturm-und-Drang-Phase musste es dann natürlich ein Bianchi in »Celeste« – Spötter sagen: in »Klodeckelfarben« – sein. Eine Liebe, die nie welken sollte. Aber wie das Leben so spielt … – irgendwann wird auch die kurvenreichste Passstraße fad, der babypopoglatte Asphalt verliert seinen Reiz.
Am Ende der Zweitausender war dem damals Mittzwanziger klar: Etwas Neues muss her! Etwas Wildes. Etwas Abenteuerliches. Etwas Ungezügeltes. Also ein Mountainbike. Die Geländeräder sind naturgemäß rauer, robuster, hemdsärmeliger. Aber dafür kommt man damit überall hin. »Zur Not trage ich mein Bike auch mal ’ne halbe Stunde hoch zum Pass«, sagt der Münchner. Denn hinter dem Horizont geht’s weiter. Aber nur per Mountainbike. Christoph liebt beides, kann sich am Samstagmorgen nie entscheiden: Rennrad oder Mountainbike?
Und dann zaubert die geschäftstüchtige Fahrradbranche eines schönen Tages das Schotterrad aus dem Hut. Weil das nur mittelmäßig gut klingt, nennen sie es neudeutsch »Gravelbike«. Ein Fahrrad, halb Rennrad, halb Mountainbike.
Das Beste aus beiden Welten, vereint in einem Gefährt. »Genau davon habe ich mein halbes Radlerleben geträumt«, freut sich der 39-Jährige. Seine neue Liebe hört auf den Namen »Scott« und kommt in gefährlich dunklem Teint daher. Die Reifen sind mit 40 Millimetern eindeutig breiter als beim Rennrad. Aber auch deutlich schmaler und weniger profiliert als beim Mountainbike. Federung? Fehlanzeige.
Macht nichts! Graveln bedeutet schließlich: ein bisschen Asphalt, sehr viel Schotter, nur ab und zu mal einen Wurzeltrail. Seine Stärken spielt Christophs neue Liebe natürlich dort aus, wo die Anstiege moderat, die Fahrbahnen fein geschottert und die Runden abwechslungsreich sind. Wie zum Beispiel in der Region Seefeld, sozusagen Christophs zweiter Heimat gleich hinter der deutsch-österreichischen Grenze. Künstlername der Region auf dem Sonnenbalkon über Innsbruck: Tirols Hochplateau.
DIESE NEUE LIEBE VERBINDET DAS BESTE AUS BEIDEN WELTEN
Die Olympiastadt Innsbruck von 1976 hat von Natur aus ein paar Trümpfe in der Hand, die beim Graveln immer stechen. Das Hochplateau auf 1.200 Metern Höhe ist wie geschaffen für den Zwitter aus Rennrad und Mountainbike. Ein dichtes Spinnennetz aus Schotter- und Wirtschaftswegen verbindet die Dörfer rund um Seefeld. Ein munteres Auf und Ab, aber nie zu steil für die Gravelübersetzung. Eingerahmt wird die 3.500-Seelen-Gemeinde und ihre Nachbarn Leutasch, Scharnitz, Reith und Mösern von gleich drei Gebirgen: dem Wetterstein im Norden, der Mieminger Kette im Westen und dem Karwendel im Osten. In die sehr langen, aber keinen Zentimeter langweiligen Täler führen breite Straßen hinein. »Die sind ideal zum Graveln«, sagt Christoph. Wichtig für ihn: Boxenstopps für den gepflegten Einkehrschwung. Und da bietet die Region um Seefeld eine Dichte an bewirtschafteten Almen und Hütten, die ihresgleichen sucht.