Mühlen sammeln in Ostfriesland
In Ostfriesland regiert der Wind. Auf der Halbinsel im Nordwesten Niedersachsens drehen sich neben den Rotorblättern moderner Windkraftanlagen noch die Flügel so manch alter Mühle im Wind. Über vierzig historische Windmühlen zählte Erik Van de Perre auf der Friesischen Mühlentour. Der Wind selbst bereitete ihm aber nicht nur Freude.
Text/Bilder: Erik Van de Perre
Seit 1891 zeigt der Leuchtturm Campen Schiffen den Weg in die Emsmündung. Mit seinen 65 Metern ist der höchste Leuchtturm Deutschlands schon von weitem sichtbar. Genau deshalb bringt er uns aber allmählich zur Verzweiflung. Seit Stunden fahren wir scheinbar erfolglos auf den rot-weißen Stahlfachwerkturm zu. Große, weiße Wolken jagen vorbei, die Flügel vieler Windkraftanlagen drehen sich ganz schön flott, der Südwestwind, der uns erbarmungslos ins Gesicht bläst, schmeckt nach Salz! Maikel (15) strampelt mutig weiter, bei Kimberli (14) und Biggi, Mutter der beiden Youngsters, mache ich mir langsam Sorgen. Einen lockeren Spruch verkneife ich mir lieber…
Von Wurten bis Waalkes
Nach einer gefühlten Ewigkeit knickt der Weg nach Norden. Aus Gegenwind wird Rückenwind und die Damen… rollen das Feld von hinten auf. Vor uns entrollt sich der fruchtbare Landstrich Krummhörn. Fette Wiesen voller Milchkühe, vereinzelte Dörfer, die sich wie Inseln über einem grünen Meer erheben. Die Erklärung liegt nahe: Es sind allesamt Wurtendörfer. Bis zur Eindeichung des Marschlands zwischen Emden und Greetsiel waren verheerende Sturmfluten an der Tagesordnung. Deshalb wurden künstlich aufgeschichtete Erdhügel, so genannte Wurten oder Warften, errichtet, um Menschen und Tiere vor Hochwasser zu schützen.
Mit flottem Tempo rollen wir auf die rot-gelb-geringelte Zigarre zu, die sich auf dem Deich gegen den blauen Himmel abzeichnet: Der Pilsumer Leuchtturm ist zwar »nur« elf Meter hoch, gehört aber zu den Wahrzeichen Ostfrieslands. Durch den Film »Otto – der Außerfriesische« erlangte der Turm gar Kultstatus. Vom Deich schauen wir auf die Emsmündung. Am Horizont kringelt Rauch aus den Fabrikschornsteinen der niederländischen Hafenstadt Delfzijl. Träge gleitet ein Frachter Richtung Hafen. Auf dem trockengefallenen Watt machen sich Austernfischer, Rotschenkel und Alpenstrandläufer auf die Suche nach einer Portion Würmer, Muscheln oder Krebstiere.
Gut für die Potenz
Greetsiel empfängt uns mit dem Duft frisch gekochter Nordseekrabben. Historische Häuserzeilen im holländischen Stil versetzen uns zurück ins 17. und 18. Jahrhundert. Im kleinen Sielhafen, wo wenige Stunden zuvor der Fang des Tages angelandet wurde, liegen noch rund 25 Krabbenkutter am Kai vertäut. Die ersten machen sich schon bereit, auszulaufen. Beim Verlassen des malerischen Küstenstädtchens scheinen die berühmten Zwillingsmühlen uns zuzuwinken.
Die zweistöckigen Galerieholländer sind das Wahrzeichen Greetsiels. »Well na Greetsiel kummt, sücht al van wieden de twee Windmöhlens, de hör Flögels bi gaude Wind immer noch dreihn«, lese ich in einer alten Ortsbeschreibung auf Plattdeutsch. Frei übersetzt: »Wer nach Greetsiel kommt, sucht bereits von weitem die beiden Windmühlen, deren Flügel sich bei günstigem Wind noch immer drehen«. Eine Aussage, die aus heutiger Sicht vielleicht etwas relativiert werden sollte. Fest steht, dass beide Mühlen eine bewegte Vergangenheit haben. Die »Grüne Mühle« wurde im Herbst 1972 stillgelegt, nachdem beim Sturm ein Flügel gebrochen war. Im Herbst 2013 riss der Orkan Christian Flügel und Kappe ab. Heute beherbergt die renovierte Mühle eine Galerie und eine Teestube. In der »Roten Mühle« werden Futtermittel aus Gerste, Hafer und Weizen hergestellt. Im Erdgeschoss befinden sich ein Mühlenladen und -café.
Viele Mühlen säumen auch den Weg nach Norden. Eine Perle ist das Mühlenensemble in Upgant-Schott, bestehend aus Galerieholländer, Knecht- und Maschinenhaus. Die Leezdorfer Mühle lockt mit einer Ausstellung über das frühere Leben der Moorsiedler und einer Teestube. Die Zufahrt nach Norden flankieren gleich zwei Mühlen.
Im Teemuseum der ältesten Stadt Ostfrieslands erfahren wir, dass Teetrinken (siehe separater Kasten) einst den Wohlhabenden vorbehalten war. »Regelmäßiges Teetrinken soll außerdem schon immer die psychische und physische Potenz angeregt haben«, verrät der Museumführer. Auch der sächsische Kurfürst August der Starke (1670–1733), angeblich Vater von 354 Kindern, war ein bekennender Teetrinker.
GPS-Daten | Länge 245 km | Webcode #5562 | GPX Track herunterladen
Die vollständige Tourenbeschreibung lesen Sie in der Ausgabe 3/2016 des Bike&Travel Magazins.