Über die höchste Kammschneide der Ligurischen Alpen ans Mittelmeer zu radeln ist ein Panoramaerlebnis der Extraklasse. Dabei überraschen Neuentdeckungen an ganz besonderen Unterkünften im stillen Hinterland mondäner Küstenorte.
»Hinter den Bergen muss die Freiheit wohl grenzenlos sein«, summt er vor sich hin. Bis er merkt, dass es Reinhard Mey doch etwas anders gesungen hat. Aber es spiegelt seine Stimmung wider. Und passt perfekt. Auch zur verdrehten Welt.
Gebetsfahnen flattern in einer Windbrise, die gerade durch die Gasse streicht. Man wähnt sich in Nepal, sitzt aber tatsächlich vor einem Steinhaus im Hinterland Liguriens. Der blaue Streifen am südöstlichen Horizont lässt das Meer vermuten, wäre nicht gerade etwas Dunst. Tummeln sich dort an der Küste viele Menschen, fühlt man sich hier in Valcona sottana wie am Ende der Welt. Die nächste Einkaufsmöglichkeit liegt rund 20 Kilometer entfernt. Das winzige Dörfchen drohte zu verkommen, hätten nicht Simona und Sandro Rossignoli dieses Juwel als Rückzugsort entdeckt.
Den wirren Anforderungen der letzten Jahre überdrüssig, änderten sie ihr Leben und zogen sich aus einem turbulenten Küstenstädtchen zurück in den Frieden der Berge. Es braucht immer auch Mut, um Neues anzufangen. Mittlerweile hat Sandro schon vier der Steinhäuser zu schmucken Ferienappartements ausgebaut. Dabei orientierte er sich an der traditionellen Bauweise und verwendete natürliche Materialien wie Holz und Stein. Fürs Auge und Wohlbefinden soll es sein. Das war Sandro wichtig. »Es gibt so viel Hässlichkeit in unserer Welt«, sagt er. Anregende Fantasie und Gemütlichkeit steckt in den Stuben, sodass sich selbst längere Schlechtwetterphasen leicht überbrücken ließen. Als leidenschaftlicher Mountainbiker hat Sandro natürlich auch eine geräumige Fahrradwerkstatt eingerichtet, in der Dieter und ich unsere Räder warten durften. Sie sehen übel aus. Matschverkrustet von der Etappe über den Tendapass. Und die Gedanken schweifen zurück an den Start.
WIE MAN KÖNIG WIRD
Mit unseren E-Bikes wollen wir dem Ligurischen Grenzkamm entlang vom Tendapass bis nach Ventimiglia. Dabei folgt man der Via del Sale, einer uralten historischen Salzhandelsroute. Abschnittsweise ist sie mit der GTA, der Grande Traversata delle Alpi, und der Alta Via dei Monti Liguri, dem Ligurischen Höhenweg, identisch.
Zu Fuß würde man die Strecke in sechs Tagen schaffen. Mit dem Bike sind wir flexibler und wollen den einen oder anderen Haken schlagen. Auch, weil in den letzten Jahren wunderbare und auch kulinarisch hochwertige, neue Stützpunkte entstanden, sodass sich locker mehr Zeit verbummeln lässt. Wie heißt es so schön: Entschleunigung. Das möchten wir uns gönnen und bleiben in Limonetto gleich mal zwei Nächte. Der archaische Weiler liegt am Fuß des Tendapasses, nicht weit von Limone Piemonte, das ans Bahnnetz angeschlossen ist. So können wir am Schluss von Ventimiglia mit der legendären Tendabahn zurückkehren. Perfekt!
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