Norwegen bietet ein dichtes Netz an Schotterwegen. Gepaart mit atemberaubenden Landschaften, der Möglichkeit, frei in der Natur zu zelten und einem Netz von Berghütten ist das Land ein Geheimtipp für Bikepacking. Und wer nicht allein unterwegs sein möchte, für den stellt »Mother North« die ideale Möglichkeit dar, das Land zu entdecken.

Für mich ist Mother North das erste Bikepacking- Rennen seit vier Jahren. Es sind die landschaftliche Schönheit und die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu treffen, die mich im August 2024 in die Berge Norwegens locken. Ich buche ein kleines Zimmer in Øvergaard, einem zentral gelegenen Gästehaus, dessen Besitzer, Egil Sorgendal, mir Insider-Tipps für den Nachmittag gibt. Egil war Mitglied des lokalen Organisationskomitees der Olympischen Winterspiele 1994 – seine Aufnahmen von der Eröffnungsfeier, die in seinem Wohnzimmer hängen, wecken Kindheitserinnerungen in mir. Aufgewachsen in der Nähe des Thüringer Waldes, bin ich seit meiner Kindheit im Wintersport aktiv – hier in Norwegen also in bester Gesellschaft.
Olympische Anstiege
Um mein Fahrrad mitsamt Gepäck ein letztes Mal vor dem Start zu testen, unternehme ich einen Ausflug zu den olympischen Skisprungschanzen und bekomme bereits einen Vorgeschmack auf die Anstiege, die mich in den kommenden Tagen erwarten. Mein Nachmittagsanstieg ist bei weitem nicht so steil wie die Schanzen, doch lange Anstiege sind charakteristisch für die Route von Mother North. In den nächsten sechs Tagen werde ich auf 1.023 Kilometern mit 16.020 Höhenmetern vorwiegend durch Ostnorwegen fahren, mit einem kurzen Abstecher nach Vestlandet.
Das Gästehaus teile ich mir mit Niki und Ardin, zwei Niederländern. Nach einigen Tassen Kaffee rolle ich entspannt zur Startlinie und freue mich auf die kommenden Tage. Mein Rad – ein Fara F/Gravel mit Shimano-GRX-Gruppe, Schwalbe G-One Overland 365 und einer Kombination aus Fara-eigenen sowie Apidura- Packtaschen – habe ich mir in Oslo geliehen. Als Filmemacher und Journalist bin ich oft in anderen Ländern auf Leihrädern unterwegs. Daher habe ich trotz der bevorstehenden Distanzen und Höhenmeter des Rennens keine Schwierigkeiten, ein Rad zu fahren, mit dem ich nur wenig vertraut bin.
Wenig Schlaf und gute Bilder auf der Mother North
Meine Packliste beinhaltet neben Zelt, Isomatte, Schlafsack, einem kompakten Gaskocher und faltbarem Geschirr auch meine Kameraausrüstung inklusive Drohne. Bei Mother North gibt es – wie bei fast allen Bikepacking-Rennen – eine Maximalzeit, in der man über die Ziellinie rollen sollte. Ich habe etwas über sieben Tage Zeit. Das Event ist für mich ein idealer Anreiz, ein landschaftlich so schönes Land wie Norwegen mit dem Rad zu erkunden, aber auch meine persönlichen Erlebnisse während des Rennens fotografisch und in einem Film festzuhalten. Aus eigener Erfahrung ist beides machbar.
Ultrarennen werden oft durch wenig Schlaf gewonnen. Ich nutze mein Schlafdefizit nicht, um etwas zu gewinnen, sondern um extra Zeit für das Laden von Kameraakkus und Drohnenaufnahmen zu haben.
Kaffee und Zimtschnecken
Die ersten 80 Kilometer sind hart: Der Wind bläst stark aus Nordost und macht es nicht einfach, meinen Rhythmus zu finden. Die Landschaft des Hochplateaus außerhalb von Lillehammer ist karg, mit weitem Blick auf die umliegenden Berge. Der erste Teil des Anstiegs verläuft auf Asphalt, danach geht es auf einer Schotterstraße weiter. Norwegens Nebenstraßen sind selten asphaltiert, was das Land zum Paradies für Gravelbiker macht. Außerdem macht Radfahren den Urlaub im Land wesentlich günstiger, da für fast alle Passstraßen eine Mautgebühr fällig ist.
Dem starken Wind, der zeitweise sehr böig ist, bin ich schutzlos ausgesetzt. Die 20 Kilometer lange Abfahrt vom Skollfjellet macht aber auch bei diesen Bedingungen richtig Spaß. Am frühen Nachmittag halte ich an der Tankstelle in Asheim – der einzigen Einkaufsmöglichkeit an einem Sonntag, an dem in Norwegen so gut wie alles geschlossen hat. Wie bei anderen Touren habe ich Minimalproviant für zwei Tage am Rad und kann, wenn nötig, ohne Stopps auskommen. Ein frischer Kaffee und eine Zimtrolle wirken aber Wunder für die Motivation.
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