Auf zwei Rädern einen fast unberührten Gebirgskamm entlang
Ein Fahrradabenteuer, von dem wir noch unseren Enkeln erzählen – Mountainbike-tour im Rodnaer Gebirge (Munții Rodnei)
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Photo: Paraferee
Mich haben die wilden, unberührten Landschaften in den alten Abenteuerromanen oder in den 50-60 Jahre alten Reiseführern stets gelockt.
Sich zu einem Abenteuer aufzumachen an Orte, an denen die übertriebene Präsenz der Menschen, die Nähe der Zivilisation, die uns Selbstsicherheit gibt, nicht mehr zu spüren ist.
Nur ist die Welt seitdem kleiner geworden… Gar nicht so weit entfernt gibt es dennoch dichte, undurchsichtige Wälder auf unzähmbaren Bergen mit Legenden von Feen und Zwergen, mit echten Bären und Wölfen. Wo? In Siebenbürgen.
Im höchsten Gebirgszug der Ostkarpaten zum Beispiel, im Rodnaer Gebirge. Um den Hauptgrat, den Kamm dieses Gebirges, entlangzufahren, unternehmen wir die mehr als 10-stündige Autofahrt.
Der 50 km lange Gebirgskamm, der sich von Osten nach Westen erstreckt, bietet wirklich wildeste, unverfälschte Natur.
Handyempfang gibt es kaum, Touristen auch nicht, über 800 m Höhe trifft man nur mehr auf Hirten und Bären (Ja, die gibt es hier noch). Es führt keine befestigte Straße die Berge hinauf. Dieses Gebirge ist eine unentdeckte Ecke des echten Siebenbürgens, das man von alten vergilbten Schwarzweißbildern kennt.
Der Plan ist einfach: Wir beginnen unsere Mountainbike-Tour am westlichen Ende des Hauptkammes, an einem Pass, der 800 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Mit dem Rad folgen wir einer roten Markierung, wir arbeiten uns langsam auf 2000 Meter hoch, radeln die ebenen Abschnitte entlang und fahren dann am östlichen Ende wieder ab. All das innerhalb von zwei Tagen…
Kapitel Eins – Wir machen uns also auf den Weg
Am frühen Morgen sind wir schon am Pass. In unseren Gesichtern steht ein Lächeln, seit wir am Morgen aufgewacht sind. Dieses trübt sich leicht, als wir uns die Rücksäcke umschnallen. Die Ausrüstung macht pro Kopf und Nase 15 Kilo aus (Essen für zwei Tage, Wasser, Zelt, Schlafsack, Schlafunterlage, Küche, minimale Kleidung, Fotoapparat, Kamera), und am Rad ist das nicht gerade angenehm. Beim ersten Mal fühlt sich die Last nicht wirklich gut an, auch beim zweiten Mal nicht. Aber es hilft nichts, jetzt heißt es damit strampeln. Die Räder werden von uns noch ein wenig eingestellt; noch ein Foto, dann schwingen wir uns in die Sättel und auf geht‘s ins große Abenteuer… zu dem sich uns auch ein kleingewachsener Streuner anschließt. Nachdem uns der Flohfänger ausdauernd nachläuft, beschließen wir, ihn, solange er uns folgt, zu verköstigen. Wenn wir über einen Bären stolpern, wird er es vor uns merken, und das ist gut.
Nach den im Vorhinein organisierten Informationen und der Landkarte geht es heute die ganze Zeit auf einem Feldweg dahin. Wir müssen innerhalb von rund 20 Kilometern 1100 Höhenmeter hinter uns bringen, was nicht leicht sein wird, aber auch nicht unmöglich…
Wir radeln durch ein wunderbares, auf eine Ansichtskarte passendes siebenbürgisches Panorama, beim Geradeausfahren und bei den leichten Abfahrten scheint uns die Sonne ins Gesicht. Die Sache wird uns nach einer Stunde verdächtig. Außerdem haben wir schon verdächtig lange keine rote Markierung mehr erblickt, was in Rumänien nicht grundsätzlich außergewöhnlich ist, weil man es mit der Instandhaltung der Wanderwege und Markierungen halt nicht so hat. Als wir aber eine Abzweigung mit 5 Wegen erreichen, nicht einmal ansatzweise Ähnliches ist auf unserer Karte zu finden, machen die Zweifel, die bisher in meinem Hinterkopf zusammengekauert hockten, einen riesigen Satz. Verdammt noch mal, wir sind sicher falsch…
Die nicht vorhandene Markierung
Dieser Verdacht wird weiters davon genährt, dass wir im Vergleich zu unserem Startpunkt jetzt um rund 60 Meter weiter unten sind – wenn wir die Meereshöhe messen –, obwohl wir nach oben fahren sollten. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns irgendwie rechts halten müssen… und den Feldweg mit rund 40° Steigung einschlagen. Ein Panzer kommt da ganz gut hoch, aber wir???
Wir beginnen, unsere Drahtesel also nach oben zu schieben. Irgendwann sind wir oben angekommen, in einen kleineren Bergsattel, wo wir einen weiteren Feldweg finden, der auf der Karte nicht verzeichnet ist. Ich beginne zu ahnen, dass die druckfrische Karte und die Wirklichkeit nur sehr wenig gemeinsam haben… Wir folgen unserem Gefühl und gehen weiter bergauf. Wir schieben also weiterhin…
Es ist schon gegen Mittag, als wir uns auf einer Wiese in ca. 1.100 Metern Höhe ausruhen. Hinter uns liegt das Tal, über dem sich hässliche schwarze Wolken zusammenballen. Wie ein Warnsignal wird das Vogelgezwitscher immer wieder von Donnergrollen unterbrochen. Zum Glück steht auf der Wiese eine Estena, eine Hütte für Heu und Vieh, in den Alpen würde man sie wohl Sennhütte nennen. Dort erwartet uns kuschelig-trockenes Heu. Und wir treten rechtzeitig ein, denn schon schüttet es ganz ordentlich…
Nachdem alles Gute von oben gekommen war, schieben wir unsere Pferde weiter nach oben, glücklicherweise wurde der Niederschlag vom Boden rasch vollständig aufgesogen. Es scheint, wir kommen bald oben an. Ich hoffe, dass wir von oben einen guten Blick auf die Landschaft haben und so den richtigen Weg finden werden. Während ich darüber nachsinne, verschmilzt der Weg mit einer Wiese. Wir stehen verständnislos herum, vor ein paar Metern gab es noch ein stark ausgetretenen Weg und plötzlich nur mehr hohes Gras. Von oben dann blicken wir unter einer vom früheren Wetter übrig gebliebenen dicken Wolke in einen Talkessel hinunter, der sich im rechten Winkel zu unseren Weg auftut, rechts ist ein Sattel zu sehen und dahinter, noch höher droben, ein Berg, der in den Wolken endet. Ich habe es im Gefühl, dass wir dorthin, nach oben, weiterziehen müssen… Wir machen uns also nach rechts, um über den Sattel dorthin zu kommen.
Umzingelt von den weithin berüchtigten Hirtenhunden
Das Gras ist auch weiterhin nass vom Regen, zwischen kleinen Tannenbäumen schieben wir unsere Drahtesel hindurch. Als wir die hohen Bäume erreicht haben, erblicken wir – oh, welch ein Wunder – eine rote Markierung an einem Stamm! Wir jauchzen aus voller Kehle und gönnen uns schnell ein Schlückchen Schnaps… Unsere Freude wird weiter gesteigert, weil wir nach langer Zeit wieder aufsitzen und ein wenig bergab rollen können. Doch dem selbstvergessenen Let-it-Roll wird von wild kläffenden siebenbürgischen Hirtenhunden, über die man sich überall Schauergeschichten erzählt, ein jähes Ende gesetzt. Innerhalb von Sekunden sind wir eingekreist. Wenn wir bisher auch nicht nass geworden sind, werden wir es jetzt durch den verspritzen Geifer… Zum Glück taucht der Hirte auf, der die Hunde nicht sehr entschlossen, jedoch mit lange dauernden, gerufenen Befehlen von uns wegtreibt.
Obwohl wir wieder der Markierung folgen, schieben wir die Räder auch weiterhin. Die Vegetation wird immer lichter. Wir sind überrascht, als wir mitten im Nichts auf einen neuen Unterstand treffen, den wir gleich zum Mittagessen ausprobieren. Wir installieren die Küche und schon brodelt das Wasser – in solchen Momenten ist gefriergetrocknetes Essen, das umgehend fertig ist, ein wahrer Segen. Und das Tikka Masala ist nebenbei auch noch sehr gut. Wir sitzen auf der Bank, laden unsere Batterien auf – wie man heute inflationär sagt – und laben unsere Seele am Panorama… Dieses wird aber schon wieder bedrohlich von dunkelblauen und schwarzen Wolken getrübt. Es vergehen keine 10 Minuten, da sind auch schon die Klangeffekte zum Schauspiel eingetroffen, was für uns ein Zeichen zum Aufbruch ist. Keiner von uns möchte im halboffenen Hochgebirge mit einem Gewitter Bekanntschaft schließen. Wir hoffen auf weiteres Glück, brechen auf, hoffen irgendwo einen Unterstand zu finden. Wir sind kaum 200 Meter gefahren, als wir in der Ferne eine Herde erblicken, die blitzschnell nach rechts unten galoppiert, in Richtung einer weiter entfernten größeren Estena. Argwöhnisch blicken wir uns um, denn wir haben keine Idee, wie sie sich so sehr erschrecken konnten. Zwei Sekunden später spurten auch wir in Richtung der großen Hütte…
Nach uns die Sintflut
Warum wir unser Tempo so sehr beschleunigen? Die dunkelschwarze Wolke, die vor einigen Minuten noch das Tal erschreckte, verschluckt unmittelbar hinter uns den Unterstand, an dem wir zu Mittag aßen, und nähert sich uns, von Donnerschlag begleitet… uns! Als wir endlich begriffen haben, wie die Chose läuft, haben wir alles bereits im Gesicht: schneidenden Wind und scharfe Wassertropfen. Der Nebel, der sich unheimlich schnell zwischen die Bäume ergießt, erinnert uns an Horrorfilme. Wir treten wie die Wahnsinnigen, jetzt interessiert uns nur mehr die Hütte, uns ist auch egal, dass das Hunderudel, das die Herde begleitet, uns anspringt. Wahrscheinlich sind sie überaus überrascht, dass wir uns überhaupt nicht mit ihnen abgeben. Oder vertreibt sie das entschlossene Gebell unseres Begleiters? Wir erreichen die Hütte in einem Stück und stürmen durch die Tür. Drinnen ist der Boden dick mit Exkrementen und Dreck bedeckt, es riecht stark nach Ammoniak. Der Duft wird vom Anblick einiger Haufen Glasscherben und Brettern versüßt. Also Schihütte ist das keine, dennoch ist sie besser als ein Aufenthalt draußen, im waagerechten Regen, Sichtweite 3 Meter.
Nach einer Stunde wagen wir uns wieder aus dem Unterschlupf. Jetzt nimmt der Boden den plötzlichen Regenschütter nicht mehr auf, wir ziehen also im Schlamm weiter. Und dann kommt ganz plötzlich die Sonne hervor, als wäre nichts geschehen. Und sie brennt auch gleich auf der Haut. Innerhalb von Minuten ist die Luft dunstgeschwängert, wir radeln gemütlich bergauf, lässt das Gelände das doch gerade zu. Während neuerlich Regenwolken auf uns zukriechen, sehen wir bei einer Dreierkreuzung noch eine Markierung, später dann aber nichts mehr. Im Nieselregen suchen wir lange und gehen schließlich einfach unserer Nase nach. 300-400 m nach der Abzweigung stolpern wir über eine rote Markierung… Ich wünsche den Markierungsmalern drei Tage Sch*ßerei… Unser Glück hält dann noch ein Weilchen an.
Wir erreichen einen schlammigen Streckenabschnitt voller glitschiger Steine, Rinnsale und er ist natürlich furchtbar steil. Wir lassen die Esel laufen, müssen wir unsere riesigen Rucksäcke doch endlich auch mal auf dem Fahrrad testen. Wir hoffen, dass es bis zum Sattel, der auf der Karte als Lagerplatz verzeichnet ist, nicht lange dauert. Obwohl er 6 km vom angepeilten Lagerplatz entfernt ist, beginne ich mich – weil es schon spät am Nachmittag ist und uns immer noch 700 Höhenmeter bevorstehen – mit der Idee anzufreunden, bei diesem Lagerplatz zu übernachten.
Der Weg mündet in eine riesige Wiese, auf der rechten gegenüberliegenden Seite entdecken wir einen Stall und denken uns gleichzeitig: Wenn dieser in gutem Zustand ist, könnten wir uns das Zeltaufstellen sparen. Der Weg führt geradewegs auf den Stall zu, also geben wir Gas, aber noch bevor wir das Gebäude erreichen, verliert sich der ausgetretene Weg im hohen Gras. Eine bekannte Situation… 10 Meter hinter uns befindet sich eine rote Markierung auf einem Stein, am gut sichtbaren Hohlweg, und jetzt stehen wir im kniehohen Gras ohne weitere Anweisungen. Das kümmert uns nicht, wir haben ja schon eine gewisse Routine, und lassen unsere Gefährte bis zur „Unterkunft“ rollen.
Anmerkungen zu einem schweren Tag
Leider sehen wir schon von der Tür aus, dass alles dick mit Kuhdung bedeckt ist. Das Lächeln gefriert uns im Gesicht. Außerdem scheint der steinige Gipfel des Großen Pietros, der sich über die Wiese erhebt und in der untergehenden Sonne orangefarben glüht, noch sehr weit entfernt. In seiner Nähe befindet sich der anvisierte Lagerplatz. Während wir uns ärgern, bemerken wir auf der linken Seite der Wiese, ein wenig über uns, das braune Schimmern eines schon vorher benutzten Regenunterstands. Wenn wir in der Nacht schon kein Dach über dem Kopf haben, können wir wenigstens unser Abendessen gemütlich einnehmen. Also machen wir uns dorthin auf. Unterwegs finden wir mitten auf der Wiese eine Quelle, der Wassernachschub ist somit auch gelöst. Fortuna hat uns bis zum Abend die Lenkstange gehalten, wir hoffen, sie bleibt uns auch morgen treu…
Trotz Regens entfachen wir erfolgreich ein Lagerfeuer, das hebt die Stimmung enorm. Auf dem Gaskocher köchelt schon das sättigende Nachtmahl, das wiederum die schon erwähnten Batterien auflädt. Doch eher Akkus. Ein wenig Tresterbrand nachgeschossen, sorgt dann noch für lockere Muskeln und Nerven. Wir sitzen auf der Bank, vor uns leuchten die Zweitausender im letzten Tageslicht. Dann wird es dunkel und die Landschaft immer stiller, es folgt die rabenschwarze Nacht. Nur die Glut spendet noch ein wenig Licht. Wir sind ziemlich müde, sitzen aber noch eine Weile lang am Feuer, starren in die Glut, wie es die Menschen schon seit hunderttausend Jahren machen, wir nehmen kleine Schlucke vom Schnaps und wiederholen den Plan für den folgenden Tag. Auch unser Hund hat es sich am Stamm eines Baumes gemütlich gemacht. Wir haben ihm auch schon einen Namen gegeben: Romi.
Kapitel Zwei – Tags darauf
Wir wachen am frühen Morgen auf, die ersten Sonnenstrahlen, die sich über die fernen Bergspitzen wagen, wecken uns. Laut MEZ ist es gerade mal 4 Uhr… Der wolkenlose Himmel gibt Grund zu Freude. Der Kaffee ist schnell gekocht, die Nudelsuppen auch, eine Stunde später sind wir fahrbereit. Wir wollen uns schon von unserem Lagerplatz verabschieden, um zum Stall zurückzukehren, wo wir gestern die Markierung verloren, da entdecken wir eine rote Markierung nur einige Meter vom Unterstand. Weiter entfernt von der letzten könnte diese Markierung gar nicht sein! Uns wundert nichts mehr…
Wir beginnen gleich mit dem schwierigsten Abschnitt des Tages: auf einer Strecke von 3-3,5 km müssen wir 700 Höhenmeter bewältigen, laut Karte auf einem Feldweg. Aufgrund der gestrigen Erfahrungen hätten wir gewagt, große Summen auf den Zustand dieses „Feldweges“ zu setzen. Und wir hätten gewonnen… 30-40° Steigung und kopfgroße Steine, Schlamm – und wir schieben die Räder und schieben. Ich hoffe, dass sich irgendwann einmal die Idee von Serpentinen bis hierher durchspricht.
Die düstere Stimmung, die dem ständigen und anstrengenden Schieben entstammt, wird durch das Gebell und Geknurre von Romi, dass er bei einer Rast in Richtung eines dichten und undurchsichtigen Waldstücks von sich gibt, noch verschlimmert. Was immer er auch wittert, wir wollen mit ihm keinesfalls Bekanntschaft schließen – da ist uns die Rast egal und schon schieben wir unsere Esel weiter bergauf.
Wir haben den Gebirgskamm erreicht
Die Bäume werden weniger und vor uns liegen unendliche Matten. Unglaubliche Euphorie strömt durch unsere Körper… Außerdem müssen wir nicht mehr schieben, denn auf dem Weg, von dem man nichts sieht außer atemberaubendem Panorama, können wir endlich in die Pedale treten. Soweit unsere Blicke reichen, sehen wir kleinere und größere Spitzen, Gipfel und Rücken. Freudig radeln wir nun den Kamm entlang, der 100-150 Meter nach oben geht, dann wieder abfällt.
Eine Stunde später treffen wir auf das erste Schneefeld, das wie ein riesiges Messer unseren Weg durchschneidet. Auf unserer Seite befindet es sich auf einer Ebene mit dem Weg, doch das andere Ende ist wohl 3 Meter hoch, nachdem der Weg abfällt. Außerdem müssen wir rund uns rund 80° steil bergab begeben, ein wenig Richtung Tal. Und das ist mit 70-Liter-Rucksäcken und den Rädern wahrlich kein Mädchentraum. Aber mit Fersenbremsen schafft man das schon. Ein paar Kilometer später ist uns wiederum ein Schneefeld im Weg, das schräg in Richtung Tal abfällt. Es ist nicht ungefährlich, auf dem stark angeschmolzenen Schnee spazieren zu gehen… ich denke mein Hinterteil glüht schon, weil ich die Backen vor Angst so angestrengt zusammenpresse, bis wir die 100-150 Meter überwunden haben.
Die Entscheidung
Auf der anderen Seite schwingen wir uns wieder in die Sättel und weiter geht‘s auf zwei Rädern. Unseren Schwung unterbreche ich mit einer Vollbremsung und der üblichen Frage: Wo ist die Markierung?! Natürlich ist sie nirgendwo. Nach dem Schneefeld gibt es nichts und vergeblich trotten wir zu Fuß ein gutes Stück weiter, es gibt auch später nichts. Davor hat es noch eine gegeben, auf einem Eisenpflock. Meinem Gefühl nach müssten wir nach rechts, auf den Berg neben uns und es führt auch ein kaum ausmachbarer Weg in diese Richtung. Also machen wir uns zu Fuß auf die Suche nach einer Markierung. Weit und breit nix zu sehen. Der Weg führt jedoch an den Rand eines riesigen Talkessels und schlängelt sich den Abhang hinunter. In der anderen Hälfte des Talkessels, in gut einem Kilometer Entfernung – Luftlinie wohlgemerkt – ist ein Sattel und irgendwie scheint über ihn ein Weg zu führen. Aber wie kommen wir dorthin? Dies ist ein schwerer Augenblick, weil wir eine wichtige Entscheidung treffen müssen: Wenn wir zu viel Zeit mit dem Herumsuchen vergeuden, kommen wir nicht mehr rechtzeitig nach unten. Und es ist auch nicht sicher, dass wir in Folge überall gleich eine Markierung finden. Schließlich verständigen wir uns darauf, dass wir dem Grat nicht mehr länger folgen. Wir fahren die Serpentinen, die wir vom Kesselrand aus gesehen haben, hinunter, es sieht so aus, dass wir ein Tal erreichen, das senkrecht auf den Grat steht. Durch dieses kommen wir schon irgendwie ins große Tal hinunter und erreichen somit auch die Ortschaft.
Die Entscheidung wird revidiert
Aus der weißen Decke, die General Winter zurückgelassen hat, fließt armdick überall das Wasser, auch den Feldweg entlang. Doch wir brettern mit breitem Grinsen nach unten… Als wir aus dem erhebenden Erlebnis erwachen, befinden wir uns auf der Sohle des Kessels, wo eine große Estena steht, die von einer Koppel umgeben ist. Der Weg ist hier zu Ende. Die Stimmung kühlt spürbar ab, als wir die Lage erkennen. Wie sich herausstellt, können wir das anvisierte Tal auch über Stock und Stein nicht erreichen, nachdem wir eine riesige Felswand überwinden müssten. Leider haben wir diesmal den Klettergurt und die Seile nicht mitgebracht. Wie sehr es uns auch schmerzt, ein neuer Plan muss her: Wir klettern bis zum Schneefeld zurück, wo wir bemerken, dass wir im Verhältnis zum Hauptkamm in die falsche Richtung unterwegs sind, dann den Weg hinunter… Dieser Weg ist um vieles ausgetretener als jener, dem wir fälschlicherweise gefolgt waren, und führt genau in die Richtung des großen Tales und der darin liegenden Ortschaft. Wenn hier schon Fahrzeuge hochgefahren sind, dann kommen wir auf jeden Fall hinunter. Die Theorie hört sich gut an, also schieben wir wieder einmal. Diesmal 200 Höhenmeter von der Sohle des Talkessels.
Nach dieser anstrengenden Schiebeetappe holen wir tief Luft und beginnen die Abfahrt, ohne zu rasten. Das angenehme Tempo, die angenehm steinige Strecke mit Auswaschungen und Wagenfurchen verringern unsere Spannung ein wenig. Nachdem wir eine Viertelstunde geradeaus gerollt sind, biegt der Weg nach rechts und führt uns zum Anfang eines Abschnitts mit Serpentinen. Unter unseren Füßen, hundert Meter weiter unten, befindet sich eine weitere Estena… hier ist der Weg zu Ende. Minutenlang starren wir die Hütte an und den Feldweg, der dort endet. Wir haben wieder Scheiß gebaut. Scheinbar haben wir gestern unser Glück bereits verschossen und nichts blieb mehr für heute übrig. Als würden sich Schafe in der Koppel, um die Hütte tummeln, und wo Schafe sind, gibt es auch einen Hirten. Und wo es Hirten gibt, gibt es auch Informationen, auch wenn man mit Händen und Füßen kommunizieren muss. Irgendwie werden wir schon erfahren, wie wir von hier nach unten kommen. Also schwingen wir uns in den Sattel.
Ein Baumstamm ist halt kein Schaf
Wir sind ziemlich angespannt, als wir die Hütte erreichen und die Koppel… wo uns ein Haufen grauer Meterstücke Holz empfängt. Von hoch droben dachten wir, das seien Schafe…?? Wir sinken zu Boden. Wir müssen Ruhe bewahren, denn es ist schon 3 Uhr Nachmittag. Wir müssen eine kluge Entscheidung treffen. Nach einem Schlückchen Schnaps und einen Energieriegel ziehe ich wieder jenes Papier hervor, das irgendjemand wagte, als Landkarte zu bezeichnen.
Den Ort, an dem vor dem Schneefeld ein Eisenpflock steht, kann ich scheinbar zu 100 % auf der Landkarte einordnen, auch die erste Möglichkeit, nämlich bis dorthin zurück zu klettern und noch ein wenig weiter, von wo die gekennzeichnete Route uns ins herbeigesehnte Tal, doch weit weg von der Ortschaft, in die wir gelangen sollten, führt. Das würde bedeuten, dass wir zuerst rund 300 Höhenmeter schieben müssen, dann wiederum das Schneefeld überqueren, um dann auf einem Weg weiterzufahren, von dem wir nicht einmal wissen, ob er existiert!? Wir verwerfen die Idee. Die zweite Möglichkeit ist, bei der Estena zu übernachten und am nächsten Tag – ausgeruht – unsere Suche nach dem Weg fortzusetzen. Im Haus haben wir‘s trocken und warm, außerdem gibt es Bäume und in 30 Metern Entfernung plätschert ein Bach. Nein, wir wollen nicht aufgeben. Die dritte Möglichkeit ist, in erster Linie unserem Gespür folgend, den Bach, der an der Hütte vorbeifließt, entlangzufahren. Nachdem ich drei Orientierungspunkte, die Fließrichtung des Baches und wichtigere geologische Formationen auf die Karte „projiziert“ habe, glaub ich zu wissen, wo wir uns befinden. Wenn dem wirklich so ist, werden wir, wenn wir dem Bach folgen, 3 km weiter unten einen Feldweg finden, der in eine asphaltierte Straße mündet, die uns schließlich in den nächsten Ort bringt. Nachdem wir neben dem Bach ausgetretene Wildwechsel sehen, auf denen man gut vorankommt, entscheiden wir uns für diesen Plan.
Wir überqueren den rund einen Meter breiten Bach und lassen unsere Räder auf dem Wechsel dahin rollen. Das Ganze ist technisch anspruchsvoll, doch eine wahre Freude, während zu unserer Linken der Bach über mehrere Meter hohe Wasserfälle hinunterstürzt und als riesiger weißer Vorhang in die Tiefe donnert – und seinen Weg fortsetzt.
Zwischen zwei Wassern
Der Wildwechsel ist nach ein paar hundert Metern zu Ende und wir stehen im dichten Nadelwald. Wunderbar, dass die untersten Äste der Bäume sich in 30-50 cm Höhe befinden… Wir kämpfen schon eine halbe Stunde lang gegen die Natur, versuchen voranzukommen, ziehen und schieben die Räder, die Rucksäcke, als zu unserer Linken ein 4-5 m breiter Bach von rechts in einen ähnlich angeschwollenen Bach mündet… und wir am Zusammenfluss der beiden steckenbleiben. Es ist schwer, das Gefühl zu beschreiben, wenn man am Zusammenfluss zweier Wildbäche steht, in die tiefen, weiß schäumenden Wasser blickt und man keine Idee hat, wie man ans andere Ufer gelangen soll…
In den vergangenen Stunden, ja zwei Tagen haben wir die entsprechende Ausbildung erhalten, um nicht in Panik zu verfallen. Nach ein paar Minuten der Suche finden wir eine weniger Tiefe Furt, an der auch die Strömung um einiges geringer ist. Leider sind wir wiederum nur rund eine halbe Stunde im dichten Wald unterwegs, weil uns der Bach zwischen die engen Wände des Berges drängt und es kein Weiterkommen gibt. Wir müssen ans linke Ufer, doch vergeblich sehen wir uns um, hier ist die Strömung so stark und der Bach so tief, dass es unmöglich ist, überzusetzen.
Jetzt kommt der Trotz ins Spiel, das So-leicht-lassen-wir-uns-nicht-unterkriegen und ich versuche voller Wut, das Hindernis zu überwinden. Ein wenig weiter zurück finde ich einen Abschnitt, der ein bisschen weniger gefährlich erscheint. Die Bachmitte erreiche ich, indem ich von einem Stein auf den nächsten trete, das Wasser reicht nur bis zu den Knöcheln, dann aber versperrt mir ein größeres Becken den Weg. Ich beschließe die brenzlige Lage mit viel Schwung, mit einem Jetzt-ist-schon-alles-wurscht zu meistern. Mir steht das Wasser fast bis zu den Knien, das eiskalte Nass sticht wie tausend Nadeln, ich setze aber meine Bewegung fort… zum Glück erfasst der Bach die Situation nicht allzu schnell und schubst die 105+15+15 kg nur einige Zentimeter flussabwärts. Am anderen Ufer werfe ich das Fahrrad und den Rucksack ab und beginne die 6-7 m hohe, fast senkrechte Uferböschung hochzuklettern. Als würde es oben einen flachen Teil geben… Oh, mein Gott! Und wirklich!! Da ist der Feldweg, den wir suchten! Ich stoße einen lauten Schrei aus, den die anderen wegen des lauten Rauschens natürlich nicht hören.
Eine Viertelstunde später stehen wir alle am anderen Ufer und nach einer kurzen Verschnaufpause treten wir in die Pedale. Endlich fahren, strampeln, vorankommen! Keine Äste, die unsere Beine aufkratzen, uns ins Gesicht schnellen, sich an unseren Rucksäcken vergreifen oder durch die Speichen dringen. Wir stapfen nicht über den wilden und unberührten Waldboden, sondern rollen auf einem Feldweg, der ein paar Meter breit und nur leicht verwachsen ist.
Einige hundert Meter später biegt der Weg nach rechts, geradewegs auf den Bach zu. Nur gibt es keine Brücke… Unser Unmut wird noch großer, als wir sehen, dass man über den 5-6 Meter breiten Bach zwei, an ihrer dicksten Stelle 15 cm dicke Baumstämme geworfen hat. Das ist ein wenig so, wie wenn man den Todeskandidaten fragt, ob er auf dem Elektrischen Stuhl gegrillt oder in die Wolfsgrube geworfen werden will. In einer Hand halten wir unser Rad, so balancieren wir über die zwei Hölzer, die bei jedem Schritt 10-15 cm auf- und abschwingen. Wir verlieren wohl jeder einen Liter Flüssigkeit in Form von Angstschweiß, bis wir endlich drüben sind.
Eine Brücke verbindet immer die zwei Seiten eines Flusses, oder?
Auf der gegenüberliegenden Seite nehme ich allen Mut zusammen und schaue wieder auf die Landkarte, ob sie vielleicht irgendwie die Realität widerspiegelt. Der Feldweg führt viermal über den Bach. Wir hoffen, dass es jedes Mal wenigstens eine Überquerungshilfe dieser Art gibt, doch über eine stabilere Brücke wurden wir uns ein wenig mehr freuen. Es gibt keine Brücken, aber für die restlichen drei Überquerungen gibt es ebenso Baumstämme. Und der Weg nahm noch ein fünftes Mal Anlauf auf den Bach… doch diesmal gab es eine Brücke aus meterdicken Bäumen. Seitdem die Brücke erbaut worden war, ist aber der Bach auf die doppelte Breite angeschwollen… somit reicht die Übersetzhilfe ungefähr bis in die Mitte der Flut. Die Lage wird dadurch erschwert, dass man seitdem sich die Situation so umgestaltet hat, hier mit dem Traktor unterwegs war, doch was für einen Traktor eine Furt und ein Kinderspiel, sind für uns unbewältigbare Untiefen. Wir haben wohl die schwierigste und furchterregendste Bachdurchquerung vor uns. In wadenhohem, eiskaltem und schnell fließendem Wasser müssen wir einige Schritte zurücklegen, wobei wir das Rad über Wasser halten, weil dieses sofort mitgerissen würde. Trotz meiner Gestalt wie ein Yeti, 15 Kilo Rucksack, 15 Kilo Mountainbike, stößt mich das Wasser zweimal weiter… glücklicherweise erreiche ich einen flacheren Teil, wo das Wasser nur knöcheltief ist und versuche Matyi zu helfen, der um rund 30 kg leichter ist. Er hat nicht viel mehr Farbe im Gesicht als eine frisch gekalkte Wand. Als wir drüben sind, müssen wir 10 Minuten verschnaufen, damit alles wieder ins Lot kommt…
Wo sind wir jetzt??
Der Weg wird breiter. Das ist noch nicht alles. Nach einigen Minuten des Dahinrollens erreichen wir einen primitiven, aus Ästen gebastelten Zaun. Wir rollen in aller Stille weiter, weder das Filmen noch das Fotografieren hat noch Reiz. In einer Rechtskurve taucht dann ein Haus am Straßenrand auf. Und dann noch eines! Mein Gott! Eine asphaltierte Straße und Häuser! Nebeneinander! Wir machen eine Vollbremsung… Eine Frau strampelt uns entgegen, wir überfallen sie sofort: „Borsa? Is this Borsa? Borsa?” Die Arme schaut uns verdutzt an und nickt, dann tritt sie aber flink in die Pedale, um fortzukommen… Und wir setzen uns wie im Rausch, von Müdigkeit überwältigt, neben das Brückengeländer… Ach, wir haben‘s geschafft! Ohne Bären, in einem Stück, mit Fahrrad und Rucksack. Wir sind nicht den ganzen Kamm abgefahren, aber das zählt jetzt nicht mehr. Uns trennen nur mehr 15 km asphaltierte Straße von unserer Unterkunft… doch wen interessiert es, wie viel wir noch strampeln müssen, wenn wir endlich wieder in der Zivilisation angekommen sind!?
The Ridge – enduro ride adventure on the rim of Transylvania from Paraferee on Vimeo.
Info: www.outdoorfuehrer.com/news/romania/bike/tipps-bike/mountainbike-tour-siebenbuergen/