Es gibt hierzulande wohl wenige Radfernwege, die so viele Kulturhighlights bieten wie die Thüringer Städtekette. Unser Autor Joachim Zeller hat sich die Kulturroute ersten Ranges im Herbst vorgenommen. Auf den Radfahrer warten schöne Landstriche mit Burgen und Mühlentäler, vor allem aber aufregende Begegnungen mit Luther, Cranach, Bach, Goethe, Schiller, Herder, Hegel, Fichte oder Dix.
Die kenne ich doch! Wir stehen vor der bronzenen Grabplatte von Martin Luther in der evangelischen Stadtkirche St. Michael in Jena. Gesehen habe ich sie bereits in der Schlosskirche in Wittenberg, wo der Reformator auch bestattet ist. Bei dieser Grabplatte hier, so erfahren wir, handelt es sich aber um das Original. Gegossen wurde sie im Jahr 1549 vom Glockengießer Heinrich Ziegler nach einer Bildvorlage von Lucas Cranach dem Älteren. Ursprünglich war sie auch für Wittenberg bestimmt, verblieb aber nach dem Schmalkaldischen Krieg in Jena, während in Wittenberg eine Kopie zur Aufstellung kam.
Auf unserer Tour entlang der Thüringer Städtekette stolpert man geradezu von einem kulturellen Highlight zum anderen, ein großer Name der deutschen Kulturgeschichte folgt dem anderen. In Jena ließe sich mindestens ein ganzer Tag für Besichtigungen einlegen, um auch nur ansatzweise all die kulturellen Hotspots in Augenschein nehmen zu können. Und wenn man dann noch das spannende Buch von Andrea Wulf »Fabelhafte Rebellen« über die frühen Romantiker gelesen hat, geht man noch einmal mit ganz anderen Augen durch die Stadt. Die Autorin schildert, wie Ende der 1790er Jahre, als viele Staaten in Europa noch unter der Knute absolutistischer Herrscher standen, ein Freundeskreis von Dichtern und Denkern in der kleinen Universitätsstadt
eine Revolution des Geistes wagte. Sie stellten das Ich ins Zentrum ihres Denkens und Lebens. Sie, das waren die Dichter Schiller und Novalis, die Philosophen Fichte, Schelling, Hegel und die Schlegel-Brüder. Ihre Muse war die freigeistige Caroline Schlegel. Und natürlich gehörte zu der Gruppe auch Goethe, der häufig zu Pferde vom nahegelegenen Weimar anreiste.
Die Ideen der Jenaer Frühromantiker drangen tief in die literarische Welt ein, selbst über Europa hinaus. In dem Literaturmuseum Romantikerhaus kann man in diese für die damalige Zeit radikal neue Ideenwelt eintauchen. Und man kann gar nicht anders – dies gilt für die ganze Thüringer Städtekette –, als sich vorzunehmen, wiederzukommen, um etwa auch Schillers Gartenhaus, die Goethe-Gedenkstätte und all die anderen kulturgeschichtlichen Orte zu besuchen.
IN EISENACH: WARTBURG ODER BACHHAUS?
Schon in Eisenach steht man vor dem Dilemma, womit man bei seinem Besuchsprogramm beginnt. Zuerst hoch zur weltberühmten Wartburg, um der Hl. Elisabeth von Thüringen und Luther die Aufwartung zu machen? Oder vielleicht doch das Bachhaus, die Kirchen oder das Schloss Pflugensberg? Jeder mag diejenigen Orte zur Besichtigung auswählen, die er vielleicht bei früheren Besuchen in der Stadt noch nicht kennengelernt hat. Wir gehen dieses Mal lediglich in die Georgenkirche. Im Eingangsbereich steht eine bronzene Bach-Statue, ist doch der große Komponist hier getauft worden.
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