Zwischen Industrieromantik und Weltkulturerbe

Graveltour auf dem R1 durch Sachsen-Anhalt

Auf gut 275 Kilometern Länge führt der Europaradweg R1 durch Sachsen-Anhalt. Die sind im besten Sinne Gravelland, auf dem es von barocken Schlössern, über mystische Wesen bis zur Baggerstadt Ferropolis eine Menge zu entdecken gibt.

Text: Conrad Engelhardt

Hexentänze und Teufelsmauer

Mitten im schweigenden Harzwald steht ein schwarz-rot-goldener Pfosten und erinnert daran, dass hier, am Bachlauf der Ecker, einst die innerdeutsche Grenze das Land teilte. Im nahen Stapelburg sieht man noch Reste des alten Maschenbetonwegs und ein Denkmal, aber wir haben viel vor und wollen weiter: Auf gut 275 Kilometern Länge führt der Europaradweg R1 durch Sachsen-Anhalt. Schon auf den ersten Kilometern entlang der nördlichen Harzhänge wird klar: Der R1 ist hier Gravelland. Mal erdige, mal geschotterte Waldwege mit ordentlichen Steigungen sind dabei zu überwinden.

Erster Stopp ist im stillen Kloster Drübeck. Beschattet vom Blätterdach einer mächtigen Buche im Hof der ehemaligen Benediktinerinnen-Abtei lässt es sich ruhen, während dazu das Brünnlein plätschert. Später rollen wir auf ordentlichem Asphalt in Wernigerode ein. Dort zieht uns weniger die pittoreske Fachwerk-Altstadt mit ihrem bunten Rathaus an, als der Bahnhof der Harzquerbahn. Seit 1899 schnaufen die Dampfzüge von hier auf Schmalspurgleisen bis zum 1142 Meter hohen Brocken hinauf. Von einer erhöhten Aussichtsplattform hat man die abfahrenden Züge gut im Blick, ebenso den Betrieb auf der Drehscheibe des Lokschuppens, das Beladen der Lokomotiven mit Kohle und das Befüllen mit Wasser.

Hinter Wernigerode wird der R1 wieder sportlicher. Anstiege und Abfahrten auf Forstwegen wechseln sich ab, ehe man durchs nördliche Tor ins ehemalige Zisterzienserkloster Michaelstein einfährt. Hoch am Hang umrunden wir anschließend Blankenburg. Dort beginnt die Teufelsmauer, ein schroffes Felsband, das sich über 25 Kilometer bis zu den »Gegensteinen« bei Ballenstedt hinzieht. Der Legende nach hat sie der Teufel in einer Nacht aufgetürmt – und sie am nächsten Morgen aus Ärger teilweise wieder eingeworfen. In Thale wird es noch mystischer: Eine Schwebebahn führt übers felsig-wilde Bodetal hoch zum Hexentanzplatz. Der war einst eine germanischer Kultstätte, an der heidnische Götter verehrt wurden. Die Mystik hat sich bis heute gehalten: In der Nacht zum 1. Mai, der Walpurgisnacht, geben sich moderne Hexen und Teufel ihrem unheimlichen Treiben hin und tanzen zur Rockmusik ums Feuer. Unten im Talkessel riecht es stattdessen verlockend nach Pommes und das Hüttenmuseum erzählt von der Entwicklung der Blechhütte von 1686 bis zum industriellen Eisenhüttenwerk des 20. Jahrhunderts. 

Kurort Bad Suderode 

Man kann es nicht übersehen: Auf dem R1 ist ordentlich was los! Bis zum Mittag sind uns schon mehrere Radgruppen begegnet, meist mit Tourenrädern und üppigen Packtaschen vorn und hinten. Wir haben unser Gepäck an den Gravelbikes dagegen so schmal wie möglich gehalten: kaum mehr als Zahnbürste, Geld & Wechselwäsche. Das passt bequem ins wasserdichte Front Bag am Lenker. 

Mittagspause dann in der Bückeburg am Rand des Harzstädtchens Bad Suderode. Die Tische stehen um den Fischteich, dessen Fang frisch auf dem Teller landet. Beim Essen schnattern die Enten. Mit Blick auf die romanische Stiftskirche St. Cyriakus aus dem 10. Jahrhundert fädeln wir am Gernröder Bahnhof auf die 2004 stillgelegte Bahntrasse ein. Sie ist heute mit Beton überbaut, so rollt man fast von allein entlang der Nordharzkante Richtung Ballenstedt, passiert dabei Rieder und die verwunschen schöne Roseburg, während am Horizont der Burgberg der Welterbestadt Quedlinburg mit seiner Stiftskirche grüßt.  

Durchs Salzland

Über Schloss Meisdorf und vorbei an der auf hohem Hügel thronenden Konradsburg führt die Strecke nun durch die Ebene nordwärts. Wir umrunden den Concordiasee, ein 300 Hektar großes, in den 1990er Jahren geflutetes Restloch der einstigen Braunkohlegrube »Concordia«. Heute wird hier Wassersport betrieben, vom Aussichtshügel am Nordufer schaut man direkt auf die Marina.  

Hinter dem Concordiasee fällt die zumeist über sandige Feldwege führende Piste langsam ab in die Bodeniederung. In fast allen Orten entlang des Flusses begann man Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Braunkohlebergbau. Die ausgekohlten Flöze sackten später ein, an der Oberfläche entstanden so zahlreiche Restlöcher mit Seen. Auch Staßfurt ist vom Bergbau geprägt, allerdings stand hier die Salzgewinnung im Vordergrund. Anfangs ging es um das Steinsalz (das klassische Speisesalz). Die dabei mitgeförderten bitteren Kaliumsalze kippte man zunächst auf Halden – Abfall. Bis der Chemiker Adolph Frank bei einem Rundgang die dort üppig sprießenden Pflanzenwelt bemerkte. So entstand die Idee, diese Kalisalze als Dünger für die Landwirtschaft zu verwenden. Ein Geniestreich, denn Staßfurt wurde so zur weltweiten Wiege der Kali-Industrie. 

Die technischen Zeitzeugen des 150-jährigen Salzbergbaus sind heute im Bergbaumuseum in der Staßfurter Altstadt zusammengetragen. Auch das mit seiner Strandterrasse und den Umkleidekabinen mondän wirkende Solebad im Stadtteil Leopoldshall ist ein Erbe des Salzbergbaus. Um 1900 lief das durch einen Bergsturz entstanden Loch voll und mit einem Hang zum Pragmatismus eröffnete der Bürgermeister 1929 das erste und einzige Strandsolbad Mitteleuropas. Dessen Salzgehalt liegt bei konstant 2,1 Prozent – mehr als in der Ostsee (1 bis 1,5 Prozent). 

Geschichte erradeln

Entlang von Bode und Saale, über Bernburg und Köthen führt der Weg ins Dörfchen Reppichau. Von hier stammt Ritter Eike von Repgow, ein Landedelmann, der Anfang des 13. Jahrhunderts das gewohnheitsmäßige Landrecht (z.B. »Wer zuerst in die Mühle kommt, mahlt zuerst«) verschriftlichte. So gilt sein »Sachsenspiegel« heute als erstes mittelalterliches Rechtsbuch. Fast 700 Jahre lang wurde aus ihm anschließend Recht gesprochen. Auf den Spuren Repgows ist der gesamte Ort heute ein äußerst lebendiges Kunstprojekt, das die Figuren der Bilderhandschrift des Sachsenspiegels zum Leben erweckt hat. Überall im Dorf lassen sich Plastiken, Wandmalereien oder Heerschilde finden, sie bedecken die Giebel von Scheunen oder umstehen als fünf Meter hohe Figuren den Dorfteich. Das muss man gesehen haben!

Mit einem kleinen Schlenker zum barocken Schloss Mosigkau führt der R1 geradewegs nach Dessau hinein und unmittelbar am Junkersmuseum vorbei. Das Museum ist ein »Muss« für Technikinteressierte, schließlich setzten die Erfindungen von Hugo Junkers Anfang des 20. Jahrhunderts neue Maßstäbe in Thermotechnik und Flugzeugbau. Von ihm stammte u.a. das erste Ganzmetallflugzeug und ein Windkanal für aerodynamische Analysen. Prachtstück der musealen Sammlung ist eine Ju 52. Die dreimotorige Maschine wurde 1932 zum Standard-Flugzeugtyp der Deutschen Lufthansa und so prägte die »Tante Ju« die beginnende zivile Luftfahrt.

Dessau ist aber vor allem Bauhaus-Stadt. Zwischen 1919 und 1933 revolutionierte das Bauhaus als Hochschule für Gestaltung weltweit das künstlerische und architektonische Denken. Und so gehört es heute zum UNESCO Weltkulturerbe. Architektonische Zeugnisse dieses neuen Denkens sind neben dem Bauhaus selbst vor allem die Meisterhäuser, 2019 wurde dazu ein avantgardistisches Bauhaus-Museum eröffnet.

Barock und Baggerstadt Stadtauswärts rollt man auf einer kühn geschwungenen Radbrücke über die Mulde hinweg und direkt in den englischen Landschaftspark von Schloss Luisium hinein. Der gehört zum verwunschen schönen »Gartenreich Dessau-Wörlitz«, das ebenfalls zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Auf asphaltierter Piste gleitet man später regelrecht durch den »Waldpark« im Vockeroder Elbbogen. Dort ließ Fürst Franz von Anhalt ab 1777 eine »geordnete Wildnis« anlegen, zu der zahlreiche Kleinarchitekturen und Skulpturen gehören. Künstlerisch gestaltete Toranlagen markieren die Eingänge zu der Anlage. Sein Herzstück ist die Solitude, ein Haus in Form eines römischen Tempels an der Hangkante zu den Elbwiesen. 

Unter der Autobahnbrücke der A9, die in weitem Spann die Elbniederung überquert, rollen wir auf der Deichkrone Vockerode entgegen. Der Ort wird von einem gigantischen Kraftwerksbau überragt:  das 1938 in Betrieb genommene Großkraftwerk – der »gestrandete Dampfer an der Elbe« ­– war bis 1994 in Betrieb, 15.000 Tonnen Braunkohle wurden hier täglich verstromt. Das 270 Meter lange und 40 Meter hohe Technische Denkmal beeindruckt bis heute durch die monumental-ästhetische Industriearchitektur, bei der Kesselhaus und Turbinenhalle abgestuft nebeneinander angeordnet sind. Die einst alles überragenden, vier 140 Meter hohen Schornsteine dominierten bis 2001 den Horizont, ehe sie in einer spektakulären Aktion gesprengt wurden.

Hinter Vockerode wird die waldige Landschaft wieder lieblicher. Der Weg führt an renaturierten Wasserläufen entlang, deren üppig wachsendes Grün fasziniert. Urplötzlich taucht dann über der Waldkante das Dach des Pagodenturms von Oranienbaum auf. Henriette Catharina (1637–1708), Gemahlin des Fürsten von Anhalt-Dessau, ließ sich die großzügige Schlossanlage ab 1683 errichten. Ihr Urenkel Fürst Franz hatte dann offenbar einen Hang zur asiatischen Kultur. Um 1780 gestaltete er Räume des Schlosses im chinesischen Stil und den barocken Park formte er zum Englisch-chinesischen Garten, der heute als einzig erhaltener dieser Art in Deutschland gilt. In der idyllischen Insellandschaft mit ihren Wasserläufen, Inseln, Bogenbrücken und Findlingen setzen das Chinesische Haus und die fünfgeschossige Pagode die architektonischen Akzente. Wer vom Gartenreich nicht genug bekommen kann, dem sei ein Abstecher in den nahen Wörlitzer Park empfohlen – hier hat Fürst Leopold III. den künstlichen Nachbau des Vesuvs hinterlassen.

So viel zu entdecken

Südlich Oranienbaums beginnt ein ehemaliges Braunkohlerevier. Bis 1991 wurde im Tagebau Golpa-Nord gebaggert, ab 2000 flutete man die Grube. Auf einer dabei entstandenen Halbinsel im neuen Gremminer See sind fünf der monumentalen Tagebaugroßgeräte zur »Stadt aus Eisen« zusammengefügt worden. Heute ist dieses »Ferropolis« Museum, Industriedenkmal, Stahlskulptur, Veranstaltungsareal und Themenpark gleichermaßen. Über allem thronen die riesigen Maschinen, die aussehen wie Dinosaurier eines vergangenen Zeitalters und epische Namen tragen wie »Mad Max«, »Mosquito« oder »Medusa«. Der schwerste und gewaltigste unter den fünf Baggern aber ist der 125 Meter lange und 30 Meter hohe Absetzer »Gemini«, dessen heute begehbarer, 60 Meter langer Ausleger eine Aussichtsplattform für Besucher trägt.  

Von Ferropolis über Gräfenhainichen führt die dahinter nun solide asphaltierte Piste längs der Bahnlinie München-Berlin. Beim zumeist herrschenden West-Südwest ist das eine kleine Rennstrecke, nur die vorbeifliegenden ICE sind schneller. Am Bergwitzer See kann man nochmal gut eine Badepause einlegen, ehe es weiter Richtung Wittenberg geht. Kaum ist man dort auf dem entlang der Bundesstraße geführten Radweg über die Elbe gerollt, steht man auf dem Marktplatz schon Angesicht zu Angesicht mit Martin Luther. Über das sauber gelegte Kopfsteinpflaster der hübschen Altstadt mit ihren vielen Gaststätten und Cafés rollen wir noch bis zur Schlosskirche an deren Tür Luther 1517 seine Thesen zur Reformierung der Kirche angeschlagen hat – und wir fühlen uns von großer Geschichte umweht. Zwanzig Kilometer sind es danach noch bis zur Landesgrenze Brandenburg, aber eine Übernachtung in der Lutherstadt ist dem vorzuziehen.

www.echtschoensachsenanhalt.de


Auf dem R1 durch Sachsen-Anhalt 
Der Radfernweg R1 führt über 4.500 km von der Atlantikküste bis St. Petersburg.
Die Strecke durch Sachsen-Anhalt ist seit 1996 ausgeschildert und befahrbar.

Streckenlänge in Sachsen-Anhalt: ca. 275 km

Profil: im Harz teilweise stärkere Anstiege/Gefälle 

Aufstieg ca. 698 hm  / Abstieg ca. 774 hm

Untergrund: viele Forst- und Feldwege, teilweise entlang der Straßen geführte Radwege 

Der Wechsel zwischen den Belägen ist perfekt auf Gravelbikes ausgelegt.


Kontaktadresse
Koordinierungsstelle Europaradweg R1
TourismusRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg e.V.Neustraße 13 | 06886 Lutherstadt Wittenberg
Tel. 0 34 91 – 40 26 10

info@anhalt-dessau-wittenberg.de www.europaradweg-r1.net

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Für Jeden Anspruch etwas dabei

»Egal, ob mit Gravelbike, Mountainbike oder E-Bike, genießen wird man die Gravel Austria auf jeden Fall«, stellt Sebastian fest. Oberösterreich ist mit vielen Trails und losem Untergrund möglicherweise eher für Mountainbikes geeignet. Die Strecke durch Tirol kann hingegen größtenteils sogar mit dem Rennrad befahren werden, während die Strecke in Niederösterreich rund 35 Prozent, in Vorarlberg rund 30 Prozent Gravelanteil hat. Auch Felix war durch Niederösterreich auf einem Gravelbike mit etwas breiteren Reifen und einer Federgabel unterwegs. Technisch sei es so gut fahrbar gewesen. »Wenig Straße, viele Feldwege, tolle Landschaft«, fasst Felix zusammen.

 

Kathrin, eine Outdoor-Bloggerin, die in den Niederlanden lebt, fuhr wiederum auf einem Reiserad mit Gravellenker von Ost nach West durch Tirol. Auch sie bestätigt: Österreich ist total auf Fahrradfahrer eingestellt. »Die Infrastruktur in den Kitzbühler Alpen und im Inntal ist hervorragend. Ich musste wenig vorplanen und habe immer spontan eine Unterkunft gefunden«, weiß sie zu berichten. Die Unterkünfte, die sie angesteuert hatte, verfügten über Werkstätten und Ski- bzw. Fahrradkeller. Da die Grenze nach Tirol auf einem Bergpass liegt, ist Kathrin in Zell am See im Salzburger Land gestartet. »Aus den 3.000 Kilometern Gesamtroute kann man sich diejenigen Abschnitte heraussuchen, die am besten auf die Kondition passen«, lobt sie. Aber auch die Jahreszeit und das Wetter können den individuellen Zuschnitt der Strecke beeinflussen.

Im Inntal kann es zum Beispiel sehr heiß werden. Der höchste Punkt der Strecke durch Tirol liegt um die 1.300 Meter und ist oft schon im frühen Herbst und bis Anfang des Sommers schneebedeckt. »Man lernt so unglaublich viel über das Land«, resümiert Kathrin. Sie war besonders beeindruckt vom schicken Ambiente in Kitzbühel. Die Essenz der Radtour durch Österreich war für sie, »dass man einfach in der Früh aufwachen und ohne viel zu planen losfahren kann und dabei weiß, dass man am Abend eine tolles Hotel finden wird und nicht in einer Sackgasse landet.«

Gutes Essen, tolle Landschaften, tolle Menschen und unendlicher Schotterspaß: Österreich ist wie geschaffen für das Graveln und die Gravel Austria die einzigartige Möglichkeit, das ganze Land auf zwei Rädern zu erleben.

Von See zu See durchs Salzburger Land

Im Folgejahr führte die Gravel-Route Sebastian durchs imposanten Salzburger Land von See zu See und von Wasserfall zu Wasserfall. Die Gravel Austria führt auf ihrem Rundkurs, der grob die Grenzen des Landes nachzeichnet, gleich zwei Mal durch das österreichische Bundesland. Sebastian fuhr von Saalbach zum Salzkammergut mit Auftakt auf einem aussichtsreichen Höhenweg. Flowig wurde es auf dem Asitztrail in Leogang. Später wartete nach jedem Anstieg ein Postkartenmotiv: Die Mandlwände am Hochkönig, die imposante Dachstein-Südwand, die Serpentinen der alten Postalmstraße im Tennengau sowie der Wolfgangsee und Fuschlsee.

Der südliche, rund 90 Kilometer lange Abschnitt, führt vom Großglockner nach Mittersill und dort zum Abschluss über den Pass Thurn insgesamt rund 900 Höhenmeter bergauf. Startet man die Gravel Austria im Nordwesten, am Bodensee, und fährt von West nach Ost, dann ist die Südvariante der Rückweg.
Im Anschluss an das Salzburger Land radelte Sebastian gleich weitere 450 Kilometer und mehr als 8.000 Höhenmeter durch Oberösterreich. Die Strecke, deren Gravelanteil knapp 30 Prozent beträgt und die sonst über asphaltierte Wege und Straßen verläuft, hat kaum einen ebenen Kilometer aufzuweisen. Lediglich entlang einer der vielen schönen Seen oder Flüsse kann man kurzzeitig durchatmen. Unbestrittene Höhepunkte sind der Mondsee im ersten Abschnitt der Tour sowie die Kulturhauptstadt 2024, Bad Ischl, die im letzten Drittel auf einem Abstecher erreichbar ist. Zwischendrin geht es auf einer Schleife durch das Innere Salzkammergut mit der Flussregion Traun, den Kalkalpen und seinen unzähligen kleineren und größeren Seen.

Das Innviertel, das man auf der Gravel Austria ebenfalls durchfährt, wirbt für sich mit der größten Dichte an Brauereien in Österreich. Durst hat man beim Auf und Ab in der hügeligen Landschaft definitiv immer. Besonders idyllisch ist auch der Abschnitt durch das Mühlviertler Granitland. Der abwechslungsreiche Wegemix durch den Böhmerwald verläuft zunächst an der österreichisch-tschechischen Grenze entlang und macht sogar einen kleinen Schlenker nach Tschechien. Mit der Überquerung der höchsten Passstraße Österreichs, dem Koblpass, schafft man den Sprung hinüber nach Niederösterreich.

Pässe, Dörfer und Flussradwege

Ganz anders war die Herangehensweise von Sebastian aus Hamburg, der diesen Sommer durch das Salzburger Land und Oberösterreich geradelt ist und somit Österreich von West nach Ost durchquert hat. Schon im Vorjahr hatte er die damals von der Österreich Werbung ganz neu eingerichtete Gravel Austria auf dem Abschnitt von Bregenz bis zum Traunsee ausprobiert. Seine Erlebnisse hat er in einer Folge seines Podcasts »Off the Path« präsentiert. »Ich war überrascht, wie unglaublich abwechslungsreich das Land ist«, erzählt er. Man radelt über Pässe, durch Dörfer oder auf Flussradwegen und ist dabei stets ganz nah an der Natur.

Sebastian hat seine Radreise im Gegensatz zu Felix ganz langsam angefangen. Am ersten Tag hatte er etwas über 20 Kilometer auf dem Tacho, dann etwas über 30 Kilometer, um am Ende seiner insgesamt 12-tägigen Tour mit insgesamt 1.400 Kilometern Strecke schließlich auch 100 Kilometer und rund 2.000 Höhenmeter am Tag zu schaffen. »Am dritten Tag gewöhnt sich der Körper daran«, stellte er fest.

»Dadurch, dass man jederzeit und überall Unterkünfte bekommt, kann man sich komplett an seine Fitness und das Wetter anpassen«, zeigt er sich begeistert. Auf dem Abschnitt von Bregenz bis zum Traunsee, hatte er lediglich in besonders touristischen Orten wie am Achensee, am Wolfgangsee oder in Bregenz Probleme bei der Unterkunftssuche. »In Oberösterreich wurde es ein wenig dünner und ich habe festgestellt, dass ich besser hätte planen müssen. Dennoch muss ich sagen, dass Österreich, was die Infrastruktur betrifft, ein Traum ist«, weiß der Podcaster zu berichten, der auf seinen Touren mit Hitze genauso wie mit Regen zu kämpfen hatte. Die Kombination aus teils steilen Anstiegen, losem Untergrund und wechselnden Wetterbedingungen macht jede Etappe zu einer Herausforderung. Besonders in den Alpen kann das Wetter schnell umschlagen, und plötzlich findet man sich in dichtem Nebel oder einem unerwarteten Regenschauer wieder. Je nach Abschnitt und Höhe kann man jedoch schon früh im Jahr fahren. Felix’ höchster Punkt auf der Tour lag zum Beispiel auf 1.400 Meter Höhe, wo ein eisiger Wind ihn erwartete.

Insbesondere die rund 260 Kilometer lange Strecke durch Vorarlberg, die Sebastian zur Hälfte gefahren ist, ist außerhalb der Sommersaison nur unter Vorbehalt zu empfehlen: Kops und das Ganifer Tal liegen sehr hoch und werden nicht geräumt. Bis Juni kann hier Schnee liegen, außerdem gilt der erste Abschnitt beim Stausee Kops als äußerst herausfordernd, da er bergab sehr steil ist. Dieses kurze Stück sollte bei Eisgefahr unbedingt geschoben werden. Nach dieser atemberaubenden Abfahrt rollt man dann aber entlang der Ill gemütlich bergab durch das Haupttal des Montafon und tritt dann wieder mit hoher Frequenz bergauf über das Laternsertal bis nach Übersaxen. Den anschließenden etwas steileren Abschnitt von Götzis hinauf zur Emser-Hütte, wo eine wunderbare Fernsicht bis zum Bodensee für die brennenden Waden entschädigt, kann man auch umfahren.

Auch der von Sebastian gewählte Abschnitt vom Bodensee aus beginnt knackig mit einem fordernden Anstieg von Bregenz in Richtung Pfänder, auf den eine spannende Gravel-Abfahrt in den Bregenzerwald folgt. Weiter geht es von Bizau nach Mellau und über das wunderschöne Hochplateau am Fuß der Kanisfluh nach Au. Nach Schoppernau beginnt der längste Anstieg der Tour in Richtung Warth.

Am letzten Tag sind die Beine eingefahren

Nach einem Ost- und einem Südschwenk verlässt die Gravel Austria Tour Niederösterreich, um bei St. Sebastian an drei einladenden Badeseen vorbeizuführen. Felix kühlte sich am Fluss-Strandbad in Hollenstein die heißgelaufenen Füße ab. Nur kurz, wie er betont, denn der sportliche Streckenzuschnitt, den er gewählt hatte (fünf Tage für 528 Kilometer), ließ nicht allzu viele Pausen zu. Von Hollenstein kann, wer sich dort doch länger aufhalten möchte, die Abkürzung über den Ybbstalradweg nach Göstling nehmen und damit einige Höhenmeter sparen.

Nach einem kurzen Abstecher nach Mariazell führt die Route dann entlang der Traisen Richtung Norden und weiter durch das Gölsental, die Region Elsbeere Wienerwald und durch den Biosphärenpark Wienerwald bis nach Klosterneuburg. Hier wird die Landschaft wieder sanfter, rollt man teilweise gemütlich dahin, während die Postkartenpanoramen an einem vorbeiziehen. »Es war malerisch mit den endlosen Fernblicken«, schwärmt Felix. Die Anstiege, so Felix, haben es in sich, aber die Aussichten lohnen sich jedesmal.

Besonders beeindruckend fand Felix das Wahrzeichen des Mostviertels, die barocke Basilika des Sonntagberges, die man auf einer Panoramastraße erreicht. Durch unberührte Wälder, über Bergrücken mit Traumaussichten und zahlreiche urige Dörfer geht der Weg weiter nach Nordosten und vorbei an Lilienfeld bis zur Donau bei Wien. Die Hauptstadt wird in einem großen Bogen im Süden umfahren, wobei ein Abstecher in die City sich durchaus lohnt. Für Felix und seinen Gravelpartner liegt der Vorteil der letzten Etappe genau darin, dass man sich zwar in der Natur aufhält, aber dennoch jederzeit in die Stadt abbiegen und die Tour somit flexibel beenden kann.

»Am letzten Tag waren die gröbsten Höhenmeter raus und die Beine eingefahren«, erinnert sich Felix an die letzte Etappe bis zur Grenze zum Burgenland. Hier hatte er trotz schlechter Witterung, Nebel und Regen besonders große Freude. Die Sinneseindrücke, Vogelstimmen, Gerüche nahm er intensiv wahr. Letztlich sind es die kleinen Genussmomente, wie das Füßekühlen in der Ybbs, die Nacht in Göstling, ein Stopp am See in Lunz, die sich auf dieser Tour tief in das Gedächtnis eingraben.

Knackige Anstiege mit tollen Aussichten

Vor allem die ständig wechselnden Landschaftseindrücke sollte man in Ruhe auf sich wirken lassen: Die Strecke durch das nordöstliche Bundesland startet in Liebenstein in der Gemeinde Liebenau, noch in Oberösterreich. Die Tour führt zunächst durchs Waldviertel, das als ehemaliger Bestandteil der sogenannten »Böhmischen Masse« als ältestes Gebirge Österreichs gilt. Mit ihren wilden Fluss- und Moorlandschaften, sanften Hügeln und dichten Wäldern, die von einem engmaschigen Netz an Waldwegen durchzogen werden, ist die Region ein Graveltraum. Mit stetem Auf und Ab tritt man entlang des Granit-Trails Richtung Donau. In Ybbs stößt man auf den Donauradweg, dem man hier bis nach Wien folgen könnte. Abenteuerlicher, wenn auch nicht so bequem ist es, den Umweg über die Schotterpisten und flowigen Trails der Gravel Austria zu nehmen.

Über Waidhofen an der Ybbs geht es nach Süden in den Natur- und Geopark Steirische Eisenwurzen. Die kulturhistorisch bedeutende Region, deren Namen sich von der jahrhundertelangen Tradition der Eisenverarbeitung und Eisenproduktion ableitet und die sich über Teile der Steiermark, Oberösterreichs und Niederösterreichs erstreckt, ist vor allem ein bekanntes Ziel für Mountainbiker. Mit dem Gravelbike hat man auf den Schotter- und Waldwegen zu Almen, Wildwasserflüssen und malerischen Bergdörfen sowie auf einigen anspruchsvollen Abfahrten aber genauso viel Freude.

Start/Ziel
z. B. Wien oder Innsbruck
Aufstieg
51.000 Hm
Strecke
3.000 km

Dauer
14–35 Tage

Beste Zeit
Frühsommer bis Herbst

CHARAKTER
Die Gravel Austria zeigt auf jedem Abschnitt und in jedem Bundesland (nur das Bundesland Wien wird ausgespart) einen anderen Charakter, so dass jeder die für seine Ansprüche passende Teilstrecke finden kann. Die Gesamtstrecke muss allerdings als sehr anspruchsvoll eingeordnet werden, da sie auf vielen Etappen ein sehr sportliches Höhenprofil aufweist. Die Länge der Etappen kann sehr individuell zugeschnitten werden, da sich überall viele Unterkunftsoptionen bieten. Die über 3.000 Kilometer lange Tour führt überwiegend über Schotterpisten; es sind aber durchaus auch längere Abschnitte auf verkehrsarmen Nebenstraßen sowie der eine oder andere Singletrail enthalten. Die abwechslungsreichen Streckenabschnitte führen durch einmalige Berg-, Wald- und Seenlandschaften. 14–35 Tage sollte man für die Gravel-Austria-Route einplanen.
to.austria.info/gravel

ÜBERNACHTEN
In der Komoot-Collection zu Gravel Austria und auf der Homepage der Österreich Werbung finden sich übrigens auch zu jedem Abschnitt Tipps für besonders fahrradfreundliche Unterkünfte.
austria.info/de/aktivitaeten/radurlaub-in-oesterreich/gravelbiken

ANREISE
Die größeren Städte entlang der Gravel Austria sind hervorragend mit dem Zug erreichbar. Nicht nur innerhalb Österreichs kommt man mit der Bahn gut von einer Etappe zur anderen. Auch von Deutschland aus gibt es sogar Direktverbindungen von München nach Innsbruck. Die Mitnahme von Fahrrädern ist in den Zügen der ÖBB grundsätzlich möglich. In Fernverkehrszügen muss man einen Fahrradstellplatz reservieren. Wien, Salzburg und Innsbruck erreicht man zudem auch mit dem Flugzeug.
oebb.at

BESTE ZEIT
Die beste Reisezeit für die komplette Tour ist der Sommer. Die tiefer gelegenen Abschnitte können auch im Frühjahr und Herbst befahren werden. Auf den Alpenpässen kann es dann jedoch noch/schon schneien. Im Sommer sollte man Unterkünfte vorbuchen.

ABSCHNITTE
Vorarlberg
Strecke: 250 km
Auf-/Abstieg: 6.260 Hm/6.590 Hm
Dauer: ca 3–5 Tage
Start/Ziel: Stausee Kops/Warth
Charakter: Der Abschnitt enthält ca. 30 % Gravel-Anteil. Die maximale Steigung liegt bei ungefähr 20 %. Der erste Abschnitt beim Stausee Kops gilt als herausfordernd, da er bergab sehr steil ist. Die Etappe ist erst ab Mitte Mai/Juni empfohlen, da höher gelegene Abschnitte bei Kops und im Ganifer Tal nicht geräumt werden.

Tirol
Strecke:
166 km
Auf-/Abstieg: 3.260 Hm/2.160 Hm
Dauer: 2–3 Tage
Start/Ziel: Warth/Spielberghaus bei Kössen
Charakter: Die mittelschwere bis schwere Tour führt von Warth durchs Lechtal bis Ehrwald, dann durch das Gaistal und zuletzt anspruchsvoll durch das Karwendelgebirge und schließlich ins schicke und charmante Kufstein.

Salzburger Land
Strecke: 258 km
Auf-/Abstieg: 5.800 Hm/6.640 Hm
Dauer: 3–5 Tage
Start/Ziel: Spielberghaus bei Kössen/
St. Lorenz am Mondsee
Charakter: Der Gravelanteil der Strecke, die das Salzburgerland von West nach Ost quert und mit einem aussichtsreichen Höhenweg über Saalbach startet, beträgt rund 35 %, der Rest sind asphaltierte Wege und Straßen. Es gibt kaum flache Abschnitte. Der Wolfgang- und der Fuschlsee sind nur zwei von vielen Höhepunkten.

Oberösterreich
Strecke:
445 km
Auf-/Abstieg: 8.230 Hm/7.730 Hm
Dauer: 5–9 Tage
Start/Ziel: St. Lorenz am Mondsee/ Liebenstein
Charakter: Die schwierige Strecke durch Oberösterreich mit großem Anteil (30 %) an Schotter und einigen Singletrails startet fulminant am Mondsee. In einer Schleife geht es durchs Innere Salzkammergut und später über steile Abschnitte ins Mühlviertel. Besonders abwechslungsreich sind die Wege im Böhmerwald.


Niederösterreich
Strecke: 523 km
Auf-/Abstieg: 9.080 Hm/9.900 Hm
Dauer: 5–10 Tage
Start/Ziel: Liebenstein/Wien, Schwadorf
Charakter: Der Gravelanteil dieses schwierigen Abschnitts beträgt 35 %; Singletrails machen 10 % aus. Eine vielfältige Landschaft, abwechslungsreiche Wege, radkompetente Gastgeber werden auf der Strecke, die zunächst durchs Waldviertel führt, geboten. Entlang des Granit-Trails geht es Richtung Donau, später durch die Region Elsbeere Wienerwald und durch das Biosphärenreservat Wienerwald bis nach Klosterneuburg. Wien wird an der Stadtgrenze entlang im Süden umrundet.

Burgenland
Strecke: 347 km
Auf-/Abstieg: 3.160 Hm/3.060 Hm
Dauer: 3–6 Tage
Start/Ziel: Wien, Schwabdorf/Neustift
Charakter: Überwiegend befestigte Wege. Der Abschnitt bis Oslip ist flach und führt entlang des Naturpark Neusieder See-Leithaberg. Die Tour führt mit einigen Anstiegen kurzzeitig durch Ungarn. Der letzte Abschnitt ab Lockenhaus ist anspruchsvoller.

Steiermark
Strecke: 165 km
Auf-/Abstieg: 1.890 Hm/1.800 Hm
Dauer: 1–3 Tage
Start/Ziel: Neustift/Lavamünd
Charakter: Die Tour, die etwa 40 Kilometer über Schotter und 125 Kilometer auf Asphalt verläuft, führt entlang der burgenländisch-steirischen Grenze auf dem Themenradweg R12. Der Abschnitt durch die Südsteiermark bis nach Bad Radkersburg ist relativ eben. Über den Murradweg und die Südsteirische Weinstraße geht es weiter Richtung Slowenien und letztlich über die Grenze ins Drautal.

Kärnten
Strecke: 295 km
Auf-/Abstieg: 4.200 Hm/2.050 Hm
Dauer: 4–7 Tage
Start/Ziel: Lavamünd/Großglocknerpass
Charakter: Die Tour führt zunächst entlang des Drauradwegs, der zu 50 % geschottert, zu 50 % asphaltiert ist. Das letzte Drittel des Wegs führt über die Großglockner-Passstraße, was trotz des asphaltierten Untergrunds eine ernsthafte Herausforderung ist.

Salzburger Land (Rückweg)
Strecke: 87 km
Auf-/Abstieg: 890 Hm/2.130 Hm
Dauer: 1–2 Tage
Start/Ziel: Großglocknerpass/Thurn
Charakter: Der Abschnitt, der das Salzburger Land diesmal von Ost nach West quert, wird durch die Abfahrt auf der Großglocknerstraße eröffnet. Bis auf den Aufstieg nach Thurn am Ende ist das Radfahren hier eher gemächlich. Die Strecke führt durch einen längeren Tunnel, in dem ein Fahrradlicht erforderlich ist.

Tirol (Rückweg)
Strecke: 289 km
Auf-/Abstieg: 3.730 Hm/3.190 Hm
Dauer: 3–3‚5 Tage
Start/Ziel: Liebenstein/Wien, Schwabdorf
Charakter: Die Strecke, die Tirol von Ost nach West quer und überwiegend auf Schotter (50 %), aber auch über Singletrails (10 %) führt, beginnt mit einem knackigen Aufstieg zum Gauxjoch und einer anschließenden steilen Abfahrt auf losem Untergrund. Später führen gut ausgebaute Radwege und Straßenabschnitte ins Inntal. Über den Inntalweg geht es ohne Schwierigkeit nach Innsbruck. Ab Landeck wird es hügeliger und geht stets bergauf bis zum Stausee Kops auf 1.800 Meter Höhe.

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