Die Costa Brava im nordspanischen Katalonien, an der sich felsige Steilküsten mit versteckten Buchten und Stränden, vogelreiche Sumpfgebiete mit kleinen Fischerdörfern abwechseln, ist das ideale Ziel für Frühjahrstouren. Dank des Einflusses des Mittelmeers blüht es hier bereits im Februar und März, wenn bei uns noch winterliche Verhältnisse herrschen. Besonders schön ist die Halbinsel Cap de Creus, wo die Pyrenäen im Meer versinken. Annika Müller stellt diese Region vor.
Die Einheimischen in dem kleinen Gemüseladen im Dorf Cadaques sind sich einig: Der schönste Ort Spaniens, um einen Sonnenaufgang zu betrachten, ist der Far de Cap de Creus. Denn der Leuchtturm liegt am östlichsten Punkt der Iberischen Halbinsel, wo man der aufgehenden Sonne am nächsten ist. Eine Nacht dort ist also der ideale Auftakt, um die Cap de Creus genannte Halbinsel und die Costa Brava, die »wilde Küste«, kennen zu lernen. Die Einsamkeit ist absolut. Der klare Sternenhimmel spannt sich über uns. Später wird alles in das geheimnisvolle, milchige Licht des Vollmonds getaucht, der mit dem Leuchtturm darum wetteifert, wer die stärkere Strahlkraft hat. Man erkennt zahllose Steinmännchen, die Wanderer hier gebaut haben, sieht, wie die Wellen an die Felsen klatschen. Ihr regelmäßiges Geräusch – mal ein bisschen stärker, mal ein bisschen schwächer – hat etwas Meditatives.
Doch mitten in der Nacht lassen sich plötzlich Stimmen vernehmen, laute Stimmen, die sich auf Katalanisch mit Akzent der Provinz Girona Witze erzählen. Drei Fischer sind auf dem Weg, um sich einen strategisch günstigen Punkt auf den Felsen zu suchen. »Bei Vollmond beißen sie besonders gut!«, rufen sie uns zu, bevor sie sich in der zerklüfteten Felslandschaft verlieren. Dann geht das Spektakel los: Das hier immer raue Meer färbt sich rosafarben ein, die von Wind und Erosion bizarr geformten Vulkansteinbrocken sowie verwitterter Granit und Schiefer beginnen in zarten, warmen Farbtönen zu schillern. Vor dem rötlichen Himmel heben sich ihre Silhouetten wie Gespenster oder Fabelwesen ab. Dann steigt der riesengroße Feuerball aus dem Meer empor und taucht das abweisende Felslabyrinth in ein freundliches goldgelb.
»Grandioses geologisches Delirium«
Hier am Cap de Creus, wo die Pyrenäenausläufer im Meer versinken, erlebt man einzigartige Lichtstimmungen, wie sie auch der surrealistische Maler Salvador Dalí immer wieder in seinen Bildern eingefangen hat. Der 1904 in Figueres geborene, extrovertierte Künstler war in seiner Kindheit und Jugend häufig im ehemaligen Fischer- und heutigen Künstlerdorf Cadaques und hat sich später in einer kleinen einsamen Bucht nahe des Far de Cap de Creus ein extravagantes Haus mit steinernen Eiern auf dem Dach gebaut. Bis zum Tod seiner Frau Gala lebte Dalí in der Bucht Port Lligat in dem Haus, das heute ein Museum ist.
Wandert man über die Halbinsel, stellt man erstaunt fest: Die morphologischen Formen seiner zerfließenden Gestalten sind nicht nur seiner Phantasie entsprungen. Hier, in den bizarren Steinformationen und zerklüfteten Landschaften des Kaps, die Dalí als »grandioses geologisches Delirium« bezeichnete, finden sich die natürlichen Vorbilder. Auch der weite Horizont des Mittelmeers findet sich in vielen seiner Werke wieder. Wandert man in Richtung Cadaques entlang der zerklüfteten Küste, so laden einen kleine, von steilen Felswänden umfasste Buchten ein, hinunterzusteigen und sich ins mal türkisgrüne, mal azurblaue Wasser zu stürzen. Viele der »Cala« genannten Buchten kann man jedoch nur mit dem Kajak erreichen. Neptungras und reiche Korallenriffe verleihen dem Wasser die karibisch anmutende, grünliche Färbung, während an Land, wo direkt an der Küstenlinie kaum Bäume wachsen, das Schwarzgrau des Vulkansteins dominiert. Unterbrochen wird es von hellerem Granit, Sandstein und Kalk, die gemeinsam dem kargen Boden interessante Musterungen verleihen. Vor allem im Frühling jedoch sorgen die Blüten kleiner Kakteen, Ginster und anderer extrem robuster, genügsamer Pflanzen für Farbtupfer. Die Vielfalt der Vegetation, die sich hier zwischen und auf den Steinen festkrallt, ist erstaunlich. Gelbliche Dünen-Trichternarzissen, lilafarbene und weiße Zistrosen und Strandflieder sind ein farbenfroher Augenschmaus.
Einst war das Cap de Creus stark bewaldet, was sich in Ortsnamen wie Port de la Selva oder Selva de Mar widerspiegelt.
Seit 1998 unter Naturschutz
Die komplette Halbinsel, die sich zwischen den Ortschaften Roses und El Port de la Selva erstreckt, aber auch die Küste vor dem Kap stehen unter besonderem Naturschutz. Seit 1998 sind 13.900 Hektar dieses schroffsten und naturbelassensten Abschnitts der Costa Brava als Naturpark ausgewiesen. Einst war das Cap de Creus stark bewaldet, was sich in Ortsnamen wie Port de la Selva oder Selva de Mar widerspiegelt. Selva ist sowohl das katalanische als auch das spanische Wort für Wald oder Urwald. Vor allem für den Schiffsbau wurde hier jedoch über Jahrhunderte stark gerodet. Zuletzt hat ein Brand im Jahr 2000 die Waldfläche weiter dezimiert.
Nur im Inneren der Halbinsel finden sich noch üppige Kiefern-, Stein- und Korkeichenwälder sowie Macchia-Matten, »Matorral« genannt, mit wilden Pistazien, Wacholder und Baumheide. Auch Ulmen, Erlen, Eschen und Weiden wachsen an Bächen, die dem Meer zulaufen, und in tiefeingeschnittenen Tälern. Dazwischen liegen alte Olivenhaine. Feigenbäume sorgen im Herbst für eine leckere Zwischenmahlzeit. Wer sich an den ebenfalls verführerisch süßen Kaktusfeigen vergreift, ohne zu wissen, wie man dabei vorzugehen hat, dessen Freude ist von kurzer Dauer: Die kleinen, feinen Stacheln lassen sich nur mit großer Mühe aus den Händen entfernen.
Vom Künstlerdorf zum Weltkulturerbe-Kloster
Immer den berüchtigten Tramontana-Wind in den Haaren, wandert man über die kargen Klippen bis nach Cadaques, dem vielleicht romantischsten Ort Nordspaniens. Die freundlich weißgetünchten Häuser mit den bunten Türen und Fenstern haben sich perfekt zwischen die Bucht mit seichtem, stillem Wasser und den sich direkt dahinter erhebenden Bergen eingepasst. Es ist nicht zuletzt Dalís guten Beziehungen zum Generalíssimo Franco zu verdanken, dass das Cap de Creus in den 1960er und 1970er Jahren nicht mit Hotelkomplexen und Feriensiedlungen zugebaut wurde. Auch der Aufstieg von Cadaques – dem Geburtstort seines Vaters – vom armen Fischerdorf zur Künstlerhochburg wäre ohne Dalí und seinen illustren Freundeskreis undenkbar gewesen. Die großen Zeiten, als hier Man Ray, Pablo Picasso, René Magritte, Federico Garcia Lorca oder Luis Buñuel logierten, sind zwar vorbei, noch immer findet man aber statt großer Hotels und Massentourismus viele Galerien internationaler Künstler, gemütliche Cafés und Restaurants neben wenigen Fischerspelunken und kleinen Krämerläden …
Text/Bilder: Annika Müller
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe 02/2014.