Nirgends in den Alpen ist die Landschaft abwechslungsreicher, nirgends stehen mehr unverwechselbare Berggestalten auf kleinem Raum. Im Sommer sind die Dolomiten herrlich, im Winter ein Paradies! Skitouren hier sind schwerlich zu überbieten.
»Tap, tap. Tap, tap.« In gleichmäßigem Zweitakt hören wir die Schritte im Schnee, noch lange bevor wir die dazugehörigen Tou-rengeher sehen. Erstaunlich, dass überhaupt noch jemand in die Scharte heraufkommt, und dann auch noch von Süden!
Gar keine so schlechte Idee, denke ich mir dann, denn wir hatten einen halben Tag im Kühlschrank der Dolomiten verbracht. Das nordseitige Kar unter der Cristalloscharte ist von so hohen und steilen Gipfeln umgeben, dass man die Sonne erst ganz zuletzt wieder sieht – falls überhaupt. Dafür ist die Chance auf Pulverschnee sehr hoch, egal ob man im Dezember kommt oder erst im März.
Vier kalte Stunden steigt man durch das Tal des Rio Val Fonda und später durch eine steile Rinne auf, um in den großen Gebirgskessel unter Monte Cristallo und Piz Popena zu kommen und hinauf in die Cristalloscharte. Heute haben wir uns dabei durch eine verwunschene Märchenlandschaft bewegt mit verschneiten Felstürmen, hellblauem Wassereis an kleinen Eissäulen und einer dicken Pulverschneedecke, die das Kar in weiche Formen kleidet, als würde eine flauschige Bettdecke über allem liegen.
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Wunderbar sonnig und warm muss im Vergleich der südseitige Anstieg gewesen sein. Das Pärchen, das nun in die Scharte aussteigt, ist entsprechend auch ohne Anorak und Mütze unterwegs. Beneidenswert, denke ich. Die Ski haben sie wegen der Steilheit am Rucksack. Sie sind erkennbar froh, am Ziel zu sein.
»Kommt ihr von Norden? Wie sind die Verhältnisse? Braucht man Steigeisen?« Mit einem Mix aus Englisch und Italienisch bestätigen wir, dass wir von Norden aufgestiegen sind und so gute Bedingungen herrschen, dass man keine Steigeisen braucht. »Und in der Rinne? Keine Steigeisen in der Rinne?« Die beiden scheinen heilfroh, dass ihnen damit die Abfahrt auf die andere Seite offen steht.
Auf der Südseite mag es wärmer gewesen sein, aber es liegt so wenig Schnee, dass sie einen Großteil der 1.100 Höhenmeter zu Fuß absteigen mussten. Da wiegt der Nachteil, rund zwölf Kilometer entfernt vom Auto wieder ins Tal zu kommen, weniger schwer.
Als wir uns nach einer gemeinsamen Abfahrt und einer gemeinsamen Autofahrt hinüber auf die Südseite des Cristallostocks schließlich verabschieden, haben wir von den beiden nicht nur leckere »Dolci« bekommen, sondern auch fast eine Lebensaufgabe mit unzähligen Tourentipps in den Dolomiten. Denn wenn auf der Alpensüdseite genug Schnee liegt, sind die Dolomiten ein Paradies für Tourengeher.
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