Wandern im Weltnaturerbe
Rings um Sexten lassen sich die schönsten Panoramen der Alpen fast mühelos erwandern und gewähren auf luftigen Klettersteigen Einblick in ein düsteres Kapitel der Menschheit – den Ersten Weltkrieg. Norbert Eisele-Hein hat die Gegend erkundet.
Text/Bilder: Norbert Eisele-Hein
Knarzend greifen unsere Profilsohlen auf dem geschotterten Wanderpfad. Nur noch ein paar geschwungene Kehren, und schon stehen wir nach nicht mal einer halben Stunde oben auf dem 2.226 Meter hohen Hasenköpfl. Dank der Gondelbahn hoch zum Helmhang geht es wohl nirgends schneller zu solch einem betörenden 360-Grad-Panorama. Im Süden baut sich das komplette Who’s who der Hochpustertaler Dolomitengipfel auf. Allen voran die wilden Zacken der Sextener Sonnenuhr, dem Elfer, dem Zwölferkofel, dem Einser. Täglich streift die Sonne pünktlich über ihre markanten Spitzen. Dagegen wirkt der Blick nach Norden in die tiefgrüne Landschaft der Villgrater Berge fast schon lieblich.
Weiter geht‘s auf dem Karnischen Höhenweg. Der schneidige Grat markiert die Landesgrenze zwischen Südtirol und Tirol und leitet uns direkt auf den Gipfel des Helms und zur Silianerhütte. Wie eine Himmelsleiter zickzackt ein Wanderweglein, bisweilen etwas exponiert, aber technisch einfach zur Hollbrücker Spitze. Der Blick ins Rund zeigt, wie die rasch steigende Sonne den letzten Dunst im Tal regelrecht verbrennt. Was für ein Auftakt!
Es hat wirklich nichts mit dem Drang nach Superlativen zu tun, aber die Dolomiten gehören zu den schönsten Berglandschaften der Welt. Das Hochpustertal und die Drei Zinnen liefern darauf noch das Sahnehäubchen. Das hat die UNESCO am 26. Juni 2009 mit dem Ritterschlag »Weltnaturerbe« bestätigt. Dabei wurden die beiden bestehenden Naturparks Sextener Dolomiten und Fanes-Sennes-Prags samt ihren Pufferzonen mit eingeschlossen. Wanderer finden darin ein Terrain der unbegrenzten Möglichkeiten.
Schon seit jeher haben die Kalkalpen die Menschen in ihren Bann gezogen. Albrecht Dürer (1471–1528) hielt die besonders idyllischen Momente auf Aquarellen fest. Johann Wolfgang von Goethe lobte während seiner Italienreise 1786 die »ungewöhnliche Farbe dieser Berge«, ihre »schönen, einzigartigen und schroffen Formen«. Der Italiener Giovanni Arduino (1714–1795), der Franzose Déodat de Dolomieu (1750–1801) und der Deutsche Alexander von Humboldt (1769–1859), um nur einige zu nennen, haben sich ausgiebig mit der Geologie der Dolomiten beschäftigt. Dolomieu fertigte 1791 die erste mineralogisch-chemische Analyse des Dolomitengesteins an und wurde somit zum Namensgeber dieser einzigartigen Bergregion – den Dolomiten.
Auf Augenhöhe mit den Drei Zinnen
Ein absolutes Muss für Wanderer ist die Umrundung der Drei Zinnen. Der Wanderweg startet bei der Auronzohütte, wo im Hochsommer unzählige Reisebusse, Camper und Pkw parken. Der Weg vom Parkplatz rüber zur Lavaredohütte und weiter zur Drei-Zinnen-Hütte gleicht häufig einer Ameisenstraße. Doch spätestens um 19 Uhr sind die Tagesgäste mitsamt den Reisebussen wieder unterwegs. Azyklisch unterwegs sein, lautet die Devise. Wir starten abends und erleben das allabendliche Sonnenuntergangsspektakel nur mit einer Hand voll Gleichgesinnter.
Die Südseite der Drei Zinnen offenbart sich bereits schroff, wild und kühn. Die Abstürze sind jäh, doch es fehlt jede grafische Ordnung. Erst auf dem Paternsattel lässt sich die Formvollendung der Nordseite erahnen. Wenn dann auch noch die Abendsonne um die Ecke biegt und die Nordwände der Drei Zinnen märchenhaft golden ausleuchtet, verströmen die Drei Zinnen eine wahrhaftig magische Aura. Nach einer weiteren halben Stunde auf dem breiten Wanderweg offenbart sich bei der Drei-Zinnen-Hütte der perfekte Blick auf die versteinerten Wunderkinder, die Alphatierchen der geologischen Schöpfung. Bei einem Viertel Roten und einem wunderbar zarten Rindergulasch bestaunen wir auf der Terrasse den Sternschnuppenhagel rings um die Drei Zinnen, der wohl meistfotografierten Felstrilogie der Alpen. Ein unschlagbares Abendprogramm, dagegen haben selbst Hollywood-Blockbuster keine Chance. Kommt noch hinzu, dass Hugo Reider, der Hüttenwirt, großen Wert auf eine exzellente Küche legt.