Wanderparadies im Indischen Ozean
Die üppig-grünen Talkessel Cirque de Mafate, Salazie und Cilaos begrenzen schwindelerregende Steilwände, von deren Flanken rauschende Wasserfälle in die Tiefe stürzen. Am 3.000er-Gipfel Piton des Neiges gehen braune Basaltfelsen in eine urige Heidelandschaft über. In der Caldera des aktiven Vulkans Piton de la Fournaise erwartet Wanderer eine unwirkliche Mondlandschaft aus erstarrten Lavaströmen. Astrid Därr entführt auf eine Reise in den Indischen Ozean.
Text/Bilder: Astrid Därr
Mühsam windet sich der Bus die schmale Serpentinenstraße aufwärts. In den steilsten Kurven fängt der Motor an zu stottern, so dass wir fürchten, im nächsten Moment anschieben zu müssen. Bis obenhin dicht bewachsene, tiefgrüne Felswände, von denen dünne Kaskaden in weißen Schleiern hinabfallen, begrenzen wie eine Mauer den Talkessel Cirque de Salazie. Am Straßenrand gedeihen Tomaten, Pfirsiche, Avocados, Bananen und Orangen. Die Rankpflanze Chouchou (Chayote) überwuchert ganze Hänge. »Chouchou ist wie Schwein – man kann fast alle Teile davon essen. In der kreolischen Küche verwertet man Wurzeln, Blätter und Früchte«, erklärt Nadine Wiss, unsere drahtige, französische Wanderführerin mit dem braunen Lockenkopf.
Cirque de Mafate: Grüner Talkessel
Vom Dorf Hell-Bourg mit seinen bunten kreolischen Holzhäusern fahren wir hinauf zum Ausgangspunkt des Trekkings auf 1.650 Meter Höhe. In den Alpen ist auf dieser Höhe die Baumgrenze erreicht. Auf der tropischen Insel La Réunion wachsen auch hier noch Kasuarinen (Filaos) und Baumheide (Erica arborescens). Wir satteln unsere Rucksäcke, bepackt mit Kleidung, Waschsachen und Snacks für vier Tage. Ein Wurzelweg durch knorrigen Wald führt bergab in den benachbarten Talkessel Cirque de Mafate, ins Herz von La Réunion.
An einem glasklaren Badegumpen legen wir eine Mittagspause ein. Was für ein herrliches Gefühl, die müden Füße im Wasser abzukühlen, ins Käsebaguette zu beißen und auf den warmen Felsen sitzend die Nase in die Sonne zu halten. Nach der Brotzeit verwöhnt uns Nadine sogar mit Tütenkaffee vom Campingkocher und köstlicher Zartbitter-Schokolade mit Kakao von der Insel. Vorbei an einem mächtigen Bambushain erreichen wir das abgeschiedene Dörfchen Ilet à Bourse. Wie die anderen Dörfer im Cirque de Mafate, ist auch dieses nur zu Fuß erreichbar. Etwa 800 Menschen leben im 72 qkm großen Talkessel abseits aller Straßen. Solarpanels sorgen für Strom und Warmwasser, Lebensmittel und Baumaterialien werden per Helikopter eingeflogen. Sogar die Müllabfuhr funktioniert über den Luftweg. Die Kinder laufen zur Grundschule, und auch der Postbote geht zu Fuß. »Der alte Briefträger von Mafate ist 87 Jahre alt. Er hat 30 Jahre lang die Post ausgetragen und ist dabei geschätzte 150.000 Kilometer zu Fuß gelaufen«, erzählt Nadine.
Je weiter wir in den Cirque de Mafate vordringen, desto großartiger wird der Ausblick auf den messerscharfen Grat des Piton Cabris (»Ziegenberg«), der zusammen mit den umliegenden Felsformationen eine spektakuläre Bergkulisse bildet. An jeder Gabelung weisen Schilder mit Angabe des Ziels, der Wegnummer und der Gehzeit den Weg. Spätnachmittags erreichen wir unsere Hütte (Gîte) in Grand Place, flankiert von der zackigen Silhouette steiler Granitwände. Wir schlafen in blitzsauberen Holzbungalows mit frisch bezogenen Stockbetten und eigenem Bad mit heißer Dusche. Beim Abendessen lernen wir die typisch kreolische Küche kennen, die uns nun jeden Tag erwartet: Rumpunsch als Aperitif, dann Cari (Curry) mit Bohnensauce und Reis. Nach dem Essen stoßen wir mit Rhum Arrangé an – jede Familie auf der Insel bereitet den Rum nach ihrem eigenen Rezept mit aromatischen Zutaten wie Rosmarin, Thymian und Zitronengras zu. »Auf La Réunion führen alle Wege zum Rum«, scherzt Nadine – unser Rumkonsum auf dieser Reise sollte ihr Recht geben.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe 06/2015.