Am Südende Korsikas verbindet die Route Mare a Mare Süd auf einsamen Pfaden beide Küsten und führt in einer großen Schleife durch ein faszinierendes Mittelgebirge, in tiefe Waldschluchten und endet mit einem Bad im Meer. Björn Nehrhoff von Holderberg machte sich auf, diesen wandertechnisch einfachen Weg zu entdecken.
»Da liegen ja überall Schrotpatronen auf dem Weg«, bemerkt Hao mit etwas zittriger Stimme. Vor unserer Korsika-Reise haben wir so manches über den Umgang der Korsen mit Touristen gehört. Ein Buch berichtet von Trekkern, die aus überquellender Gastfreundschaft ständig zum Abendessen eingeladen wurden, und ein Freund, wie man ihn beim Kajakfahren in den 1980ern mit einer Schrotladung beschoss.
Etwa eine Gehstunde entfernt vom nächsten Dorf haben wir gerade unser rotes Zelt aufgebaut. Auch hier verteilen sich Schrotpatronen auf der Wiese. Trotz der Entfernung zur Siedlung dringt ausdauerndes Hundegebell den Berg hinauf, alle Nase lang schreit ein misslauniger Esel, Grillen zirpen. In der Dämmerung braten wir auf dem Kocher scharfe korsische Bratwürstchen mit Gemüse. Plötzlich knallt ein Schuss. Beinahe lasse ich den Kochlöffel fallen. Hao und ich schauen uns verdutzt an. Doch der Schuss galt nicht uns. »Ist wohl nur ein Jäger auf der gegenüberliegenden Bergseite«, sage ich.
Hitze und Dornbüsche
Wir sind auf dem Mare a Mare Süd unterwegs, der sich einmal quer über den Süden der Insel Korsika zieht und in der Mitte eine Schleife nach Norden macht. Mit gleichmäßiger Steigung führt der Pfad von Porto-Vecchio auf den Berg hinauf. Die Hitze macht uns Nordland-Wanderern anfangs gerade auf den Steigungen sehr zu schaffen. Zum Glück bietet das Pflanzendickicht am Wegesrand ab und zu Schatten. Das bis zu mannshohe Gestrüpp, hier Macchia genannt, gilt als nahezu undurchdringlich, denn viele der Pflanzen sind mit Dornen bewehrt.
Entstanden ist diese Art der Vegetation durch die Jahrhunderte lange Abholzung, Beweidung und Verbrennung der ursprünglichen Eichenwälder. Wer vom Weg abweicht, bezahlt dies daher schnell mit Kratzern und Dornenstichen. Die Macchia ist stark durch Buschbrände gefährdet. Zusammen mit der korsischen Mentalität, immer und überall irgendetwas zu verbrennen, ist das Zelten in diesen Teilen der Vegetation nicht ganz ohne Risiko.
Rustikale Herberge
Als wir das archaische Bergdorf Cartavalone erreichen, bemerken wir, dass fast alle Männer Tarnhosen tragen. Selbst der Wirt der ortsansässigen »Gîte d’étape«, in der wir übernachten wollen, sieht aus, als ginge er gleich auf die Jagd. Die Gîte bietet passend dazu rustikalen, korsischen Charme: Altes Mauerwerk, Flinten an der Wand, eine urige, aber trotzdem elegante Inneneinrichtung und eine von Wein und Feigen überwachsene Außenterrasse. Ein Ausgleich zu den einfachen Schlafräumen mit ziemlich kurzen Doppelstockbetten.
Der Wanderweg streift täglich eines der typischen Bergdörfer. Die ortsansässigen Tante-Emma-Läden (Epicerie) haben eine ordentliche Vielfalt an frischen Lebensmitteln zur Auswahl, Tütenfutter dagegen ist kaum im Angebot. So werden wir automatisch zu phantasievollen Outdoorgourmets, die aus Paprika, Auberginen, Bratwürstchen, Eiern und Nudeln ein Menü auf dem Campingkocher zaubern.
Gipfelbesteigung und Badespaß
Am zweiten Tag stiefeln wir zunächst hinauf zum höchsten Punkt der Tour, der Punta di a Vacca Morta. Der leicht zu besteigende Felsengipfel bietet eine umfassende Aussicht auf das blaugrau schimmernde Meer und die umgebenden Berge. Mittags, bei 30 Grad im Schatten, schließen wir uns dem Rhythmus der Einheimischen an und legen uns faul in den Schatten eines Esskastanienriesen, der eine Wiese beschattet. Ausgeruht geht es anschließend durch einen dichten Geisterwald aus alten, wuchtigen Stein- und Korkeichen, von denen Brombeeren wie Lianen aus mehreren Metern Höhe herunterhängen. Vor der Ortschaft Levie treffen wir auf einen Badegumpen. Hier am Fluss ist der perfekte Platz, den Staub des Tages wegzuwaschen und das Zelt zu errichten.
Anderntags müssen wir zunächst die Trinksäcke mit dem lebensnotwendigen Elixier Wasser in einem Brunnen der Ortschaft Levie füllen, denn dem Fluss schenken wir in dieser Hinsicht kein Vertrauen. Im ortsansässigen Lädchen dezimieren wir wenig später dessen Vorräte und verlassen den Laden mit einem frischen Baguette auf der einen Seite des Rucksacks und einer würzigen, korsischen Salami auf der anderen. »Kein Wunder, dass dich die Dorfhunde laufend verfolgen«, sagt Hao.
Doch noch vor dem Castello Cucuruzzu, einer bronzezeitlichen Anlage, haben wir die Biester abgeschüttelt. Errichtet aus wuchtigen Granitsteinen, liegt das Kastell auf einer kleinen Hochebene, der Pianu di Levie. Vor etwa 3.500 Jahren lebten hier Angehörige der Torreaner, die nach ihren markanten Turmkonstruktionen (Torre = Turm) benannt wurden. Vermutlich machte der Volksstamm zu seiner Zeit das Mittelmeer unsicher, ehe sich seine Spuren in der Geschichte verlieren…
Björn Nehrhoff von Holderberg
Daten & Fakten
- Charakter: Eine Mittelgebirgstour mit teils wunderbaren Aussichten auf das Meer und die angrenzende Berge. Alte Baumbestände und verwachsene Wege mischen sich mit urigen Bergdörfern. Der Vorteil der täglichen Dorfbesuche ist offensichtlich: Vorräte und Wasser (das man hier anderswo in Trinkqualität kaum findet). Darüber hinaus kann man täglich in den Gîtes übernachten und spart Gewicht im Rucksack, aber nicht in der Brieftasche. Die Berge erreichen nur selten die 1.000-Meter-Marke. Somit ist hier eine Wanderung im Prinzip ganzjährig möglich sowie technisch einfach. In der Nebensaison begegneten wir täglich nur ein bis zwei anderen Wanderern. Wer genügend Zeit hat, kann mit dem Mare a Mare Süd, dem Mare e Monti Süd, dem Mare a Mare Centre und dem GR 20 Süd eine richtig lange und abwechslungsreiche Rundtour laufen.
- Beste Zeit: In der Nebensaison (Mai/September) ist man fast allein auf dem Weg unterwegs und die Temperaturen sind angenehm sommerlich.
- Übernachten: Zelten ist offiziell verboten, wird aber weitgehend geduldet, solange man sich ordentlich verhält und in einiger Entfernung zu den Dörfern campt. Eigentlich haben wir nicht ein einziges Mal einen anderen Menschen gesehen, der sich hätte beschweren können.
- Von Mai bis Anfang Oktober kann in den »Gîtes d’étapes« übernachtet werden. Sie bieten einen Komfort, der je nach Besitzer irgendwo zwischen einem Bed & Breakfast und einer einfachen Berghütte liegt. Entsprechend muss man zwischen 17 und 40 Euro pro Person und Nacht rechnen. In der Hauptsaison können sie überfüllt, in der Nebensaison eventuell schon geschlossen sein. Deswegen empfiehlt sich eine telefonische Reservierung. Die Orte Propriano und Porto-Vecchio verfügen über mehrere Campingplätze. Auf dem Mare e Monti Süd bieten sich Campingplätze um Porto Pollo an.
- Einkaufen: In Propriano und Porto-Vecchio sind große Supermärkte vorhanden, die deutlich billiger sind als die kleinen Lädchen in den Bergdörfern. Es ist zu beachten, dass um die Mittagszeit von etwa 12 bis 16 Uhr die Läden in den kleinen Dörfern geschlossen sein können. Restaurants haben dagegen durchgehend geöffnet. Die Preise sind ziemlich »gesalzen«.
- An- und Abfahrt: Von Bastia gibt es täglich zwei Busse nach Porto-Vecchio, dem Startpunkt der Tour. Von Propriano oder Porto Pollo aus kommt man mit dem Bus zurück nach Porto-Vecchio. In der Nähe liegt der Flughafen Figari.
- Bücher: »Wandern durch Korsika« von Willi und Kristin Hausmann (CoCon Verlag; ISBN 3-928100-87-4; 16,90 Euro) bietet alle korsischen Weitwanderwege in einem Buch (nicht von den schlechten Bildern abschrecken lassen, der Inhalt ist meist nutzbringend); »Korsika – Erlebnisurlaub mit Kindern« von Marion Landwehr (Bergverlag Rother; ISBN 978-3-7633-3058-4; 14,90 Euro); »Trans-Korsika GR 20« von Erik van de Perre (Conrad Stein Verlag; ISBN 978-3-86686-296-8; 14,90 Euro); Korsika – DuMont aktiv Wandern von Nikolaus und Alo Miller (ISBN 978-3-77018-018-9; 12,95 Euro).
- Karten: Die Karte »Corse du Süd« im Maßstab 1:600.000 im Libris Verlag, reicht für den Mare a Mare Süd und den Mare e Monti Süd. Wer es genauer mag, kann die IGN-Karten im Maßstab 1:500.000 für 10 Euro in den größeren Städten kaufen.
- Tipps: Es stimmt wirklich, dass hier fast niemand Englisch spricht. Ein paar Brocken Französisch sollte man sich daher vorher aneignen. Mückenmittel ist für empfindliche Personen zu empfehlen
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe 02/2012.