Wandern auf dem Mare e Monti
Schneebedeckte Gipfel auf der einen Seite, tiefblaue Meeresbuchten auf der anderen, das Plätschern von Schmelzwasserbächen im Ohr und den Duft von Ginster und Wacholder in der Nase: Eine Wanderung im Nordwesten Korsikas, auf dem Mare e Monti, ist ein wahres Fest für die Sinne, wie Erik Van de Perre nach seiner Tour resümiert.
Text/Bilder: Erik Van de Perre
Von Napoleon wurde behauptet, dass er »seine« Insel riechen konnte, lange bevor sie aus dem Meer auftauchte. Wer je den intensiven Duftcocktail der korsischen Macchia eingeatmet hat, wird von der Aussage kaum überrascht sein. Von ihrer schönsten Seite zeigt sich die Macchia im Frühjahr auf dem Mare e Monti. »Bocca a u Corsu« steht auf dem schlichten Holzschild. Auf dem kleinen Pass stellen wir die Rucksäcke ab, rasten und genießen einen letzten Blick auf das große Hirtendorf in der Tiefe: Calenzana. Ein spätbarocker Glockenturm, pastellfarbene Häuser mit roten Ziegeldächern, umgeben von großen Olivenhainen. Der lauwarme Wind trägt Fetzen von Geräuschen aus dem Dorf heran. Glockenläuten, Hundegebell, das Knattern eines Mopeds…Weiterweg schweift der Blick über die Bucht von Calvi, wo eine gelbe Fähre gerade Richtung Festland aufbricht.
Die hohen Gipfel im Inland tragen noch weiße Hauben. Da oben, wo sich im Sommer auf dem legendären GR20 Wanderer aus aller Welt tummeln, herrscht noch der Winter. Hier unten aber explodiert längst das Leben. Stattliche Zistrosen, kräftig leuchtende Ginsterbüsche und unzählige Affodille säumen den Weg. Eine Symphonie aus Pink, Gelb und Weiß. Es duftet nach Myrte und Wacholder, nach Lavendel und Rosmarin. Und nach Honig, Pfeffer und Harz.
Mitte April ist die schönste Zeit für den Mare e Monti. Dieser wunderbare Fernwanderweg durch den korsischen Naturpark führt im Nordwesten der Insel von Calenzana nach Cargèse, weitgehend über uralte Bergpfade, auf denen einst die Hirten bei der jährlichen Transhumanz ihre Herden zu den Sommerweiden trieben.
Der Name ist Programm
Mare e Monti bedeutet »Meer und Berge«. Der Name ist Programm, denn der 128 Kilometer lange Weg pendelt im wahrsten Sinne zwischen den hohen Gipfeln im Inland und türkisfarbenen Buchten. Was unseren Kids Kimberli (12) und Maikel (14) besonders gefällt, ist die ständige Nähe zum Wasser: Wo der Weg an der Küste entlangführt, lockt ein Bad im Meer, in den Bergtälern laden immer wieder schöne Gumpen zum Planschen ein. Hinzu kommt die landschaftliche Vielfalt. Während die erste Etappe zumeist auf breiten Forstwegen durch die Macchia führt, überwinden wir am zweiten Tag, im Schatten ausgedehnter Nadelwälder, einen 1.200 Meter hohen Pass und folgen am Tag darauf einem engen Flusstal.
Der Fluss heißt Fango, sein kristallklares Wasser entspringt in der Nähe der höchsten Gipfel der Insel. Glatt polierte, rote Rhyolithfelsen säumen den Wasserlauf. Grünlich schimmernde Eidechsen dösen auf den warmen Steinen. Zwei Fischadler ziehen in der Thermik langsam ihre Kreise. Gegen Mittag tauchen zwischen Wacholder- und Ginsterbüschen die Umrisse einer uralten Genueserbrücke auf. Still spannt sich die Ponte Vechju über den Fango. Viele Jahre sind vergangen, seit dem letztmals die Hirten aus der Küstenregion mit ihren großen Ziegenherden hier den Fluss überquerten, auf dem Weg zu den Hochweiden des Niolu.