Teil 1: Wie alles begann: Die Gletscher des Khumbu unter dem Mount Everest, die Traumkulisse der Annapurna, das geheimnisvolle, »verbotene Königreich« Mustang, die fantastischen Zeugen der einstigen Hochkultur des Kathmandu-Tals, Heiligtümer des Hinduismus und des Buddhismus – das alles wird trekking-Autor Michael Bauer in einer dreiteiligen Serie vorstellen. Er gehörte vor über 40 Jahren zu den ersten Trekkern in Nepal. Seither hat er das Land immer wieder bereist.
Mit Sirenengeheul schwebt die DC-3 im Tiefflug über das Stoppelfeld. Unten treiben die Hirten eiligst ihre Ziegen zur Seite. Der Pilot zieht die Maschine hoch, dreht eine Schleife, setzt zur Landung an und kommt schließlich holpernd zum Stehen . Drei Tage waren wir von Frankfurt über Kairo, Mumbai und Neu-Delhi unterwegs, ehe uns die alte Douglas der Royal Nepal Airlines hier abholte und über Kathmandu nach Pokhara brachte.
Das war im Jahr 1971. Das kleine Königreich im Himalaya zählte laut UNESCO zu den ärmsten Ländern der Welt. Der konservative Hofstaat strebte eine völlige Abschottung des Landes an mit dem Hinduismus als offizieller Staatsreligion. Ausgerechnet König Mahendra Bikram Shah, der als Nachkomme des Hauptgotts Vishnu galt, widersetzte sich diesen Plänen. Er wusste, dass eine Öffnung für den Tourismus harte Devisen ins Land bringen würde. Zudem brauchte Nepal die Aufmerksamkeit der internationalen Gesellschaft, um nicht unter die Räder der übermächtigen Nachbarn China und Indien zu kommen.
Unsere kleine Gruppe war mit Zelten und Proviant für 4 Wochen angereist. Ein Heer von Trägern schleppte die Ausrüstung auf dem alten Karawanenweg entlang des Kali Gandaki Flusses bis Jomsom. Ein Offizier wachte dezent darüber, dass wir den erlaubten Weg nicht verließen. Kontakt zu den Einheimischen war nicht erwünscht.
Das alles hat sich grundlegend geändert. Nepal ist ein ideales Land für Trekker geworden. Die Hochregionen des Himalaya sind bestens erschlossen. Überall an den Pfaden finden sich einfache Unterkünfte, in denen man für rund drei Euro übernachten kann. Die Holzpritschen mit den dicken Teppichen als Auflage reichen vollkommen, um den Schlafsack darauf auszurollen und nach anstrengender Wanderung in Tiefschlaf zu fallen. Im Haus regieren die Frauen. Sie haben es längst verstanden, die empfindlichen Mägen der Gäste mit verträglicher Nahrung zu versorgen. Wer heutzutage in Nepal wandert, braucht einen warmen Schlafsack und passende Kleidung – mehr nicht.
Für die erste Tour in Nepal empfehle ich eine Reise bei einem einschlägigen Trekking-Veranstalter in Deutschland zu buchen. Die Angebote lassen keine Wünsche offen und sind zudem erstaunlich preiswert. Alte Hasen bedienen sich einer der zahlreichen Agenturen in Nepal und stellen die Tour nach ihren eigenen Vorstellungen zusammen. Dank Internet klappt die Korrespondenz hervorragend. Die Absprachen werden nach meinen Erfahrungen auf nepalesischer Seite exakt eingehalten.
Egal ob Pauschal- oder Individualreise – bei der Ankunft in Kathmandu fällt man der entwaffnenden Fürsorge des Trekking-Guides anheim. Er scheint jeden Wunsch vorauszuahnen, weiß alles, kann alles. Geht nicht gibt’s nicht. Binnen kürzester Zeit findet er die Vorlieben und Eigenarten seines Gastes heraus und stellt sich darauf ein. Ich habe einmal den Fehler gemacht, die mir vorgesetzten, in Fett und Knoblauch gebratenen Kartoffeln als schmackhaft zu bezeichnen. Fortan gab es bereits zum Frühstück – na, was wohl? Es hat Tage gedauert, bis ich meinen guten Mingma vom Gegenteil überzeugen konnte. Es sind die Trekking-Guides, die mit ihrer unerschütterlichen Freundlichkeit und ständigen Bereitschaft, einen Gag zu machen, ihre Gäste auch in schwierigen Situationen bei Laune halten. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass Nepal zu einem der beliebtesten Trekkingländer geworden ist.
Himalaya – der Mythos lebt
Der Traum, die höchsten Berge der Welt mit eigenen Augen zu sehen, treibt jährlich tausende auf die Trails, die meist uralten Karawanenwegen folgen. Die frommen Bergbewohner der Alpen haben Kruzifixe und Kapellen aufgestellt. Im Himalaya ist es nicht anders. Nur dass hier Tschorten, Gebetsmühlen und -fahnen der Buddhisten und Opferplätze der Hindu den Weg säumen. Wer hier wandert, taucht in die mystische Welt zweier Religionen voller Geheimnisse und Rätsel ein. Nirgendwo offenbart sich tiefe Gläubigkeit so deutlich wie in den Hochregionen des Himalaya. Über allem thront »Chomolungma, die Göttinmutter der Erde«. So nennen die Tibeter den höchsten Berg der Welt. Die Nepali nennen ihn »Sagarmatha, die Stirn des Himmels«.
Auf dem Everest-Trail
Die kleine Twin Otter-Maschine schaukelt uns in 30 Minuten von Kathmandu hinauf nach Lukla. Zu Fuß hätten wir eine gute Woche gebraucht. Auf dem Everest-Basecamp-Trail wandern wir nach Munio, wo wir in einer der zahlreichen Lodges Quartier beziehen. Von hier ist es nicht weit zur Hillary Bridge, einer Hängebrücke, die das tief eingeschnittene Tal des Dudhkoshi überspannt. Der Weg steigt unmittelbar nach der Brücke steil an und windet sich in kurzer Distanz auf 3.200 Meter Höhe. Zum ersten Mal sehen wir den Everest, dessen weiße Schneefahne kilometerweit in den Himmel ragt.
Wenig später erreichen wir Namche Bazar. Der uralte Marktflecken, in dem alle Handelswege des Khumbu zusammenkommen, wächst sich zu einem Tourismuszentrum aus. Wie Pilze schießen die Lodges aus dem Boden, die tausende von Wanderern auf dem »Everest Trekking Highway« beherbergen wollen. In den Gassen reihen sich Outdoor-Geschäfte aneinander und bieten alles, was das Herz des Trekkers begehrt, zu Spottpreisen an. »North Fake Village« wird Namche inzwischen genannt. Der Ort liegt auf 3.500 Metern Höhe. Die ideale Basis für die Akklimatisation. Wer sich nicht anpasst, wird es später bitter bereuen. Mit der Höhenkrankheit ist nicht zu spaßen. Schlimmstenfalls endet sie tödlich.
Wir haben uns für zwei Nächte eingerichtet und nutzen die Tage für ausgiebige Wanderungen. Oberhalb von Namche liegt das Sherpa- Museum. Ein Besuch ist Pflicht, weil man vor dem Museum eine fantastische Aussicht über den gesamten Khumbu hat. Der Blick reicht vom Cholatsen im Westen über den Everest bis hinüber zur Ama Dablam. Im Museum befinden sich eine hervorragende Sammlung der Sherpakultur und hochinteressante Fotos und Relikte von der Besteigung des Everest. Mit dem Aufbruch aus Namche Bazar beginnt das Trekking in der Höhenregion. Fortan begleiten uns der Kampf mit der dünnen Luft und eiskalte Nächte.
Die Legende vom Yeti
Im Kloster von Khumjung zeigt uns ein Mönch den hier aufbewahrten Skalp eines Yeti. Ist es die Kopfhaut eines Orang Utan, die auf geheimnisvolle Weise ihren Weg hierher gefunden hat, oder vielleicht ein Stück Pferdefell, das kunstvoll zu einem kopfähnlichen Gebilde umgeformt wurde? Was verbirgt sich wirklich in dem dick verstaubten Glasschrein? Niemand weiß es genau. Haltet mich meinetwegen für einen Spinner, aber den Yeti gibt es. Wer tagelang alleine in schwierigem Gelände bei Regen, Schnee und ständigem Sturm unterwegs ist, der glaubt irgendwann Stimmen zu hören, wenn sich der Wind am Fels bricht, der schaut hinter sich, wenn der Schnee unter den Sohlen knirscht. Wer sich in dieser Situation auspowert bis zur Erschöpfung, bis sich die Sinne verwirren, der lernt im Himalaya den Yeti kennen, in Lappland die Trolle und anderswo die Kobolde.
Weiter Richtung Mount Everest
Wir verlassen die mühsam erkämpfte Höhe und steigen tief hinab ins Tal des Imja Drangka. Jenseits des Flusses beginnt der knallharte Aufstieg zum Klosterdorf Tengboche. Die Mönche gehören zu den Gelbmützen, leben zölibatär und sind sehr gastfreundlich. Längst haben sie neben der Meditation auch die zahllosen Trekker im Blick und betreiben einen »Gompa-Shop« und eine Garküche. Wir sind zur täglichen Pushda eingeladen, einer Zeremonie, bei der die Mönche beten und aus den Erleuchtungen Siddhartha Gautamas, des ersten Buddhas, zitieren.
Über Tengboche thront die Ama Dalam, von vielen als der schönste Berg der Welt bezeichnet. Kein Wunder also, dass er, der Berg, weiblich ist. Ama heißt »Frau« und »Dablam« das Medaillon. Ama Dablam ist demnach die Frau mit dem Medaillon. Unter dem 6.856 Meter hohen Gipfel der Ama hängt tatsächlich Dablam, ein traumhaft schöner Hängegletscher, der wie ein Bergkristall herunter leuchtet. Unaufhaltsam streben wir unserem Ziel zu, dem Everest. Mir fällt es oft schwer, einfach weiterzugehen.
Es gehört zur Faszination des Himalaya, dass sich neben der großartigen Bergwelt immer wieder Relikte großen künstlerischen Schaffens in den Weg stellen. So wird die Reise zu einer Gratwanderung zwischen einer unvergleichlichen Natur und bedeutenden Zeugnissen einer Hochkultur. Im verlassenen Kloster von Pangboche wacht ein einziger Mönch über jahrhundertealte Tanzmasken.
Auf dem Weg nach Dinpoche genießen wir immer neue Blicke auf die Ama Dablam. Im Talschluss ragen die gewaltigen Wände des Nuptse und des Lhotse auf, hinter denen sich der Everest bescheiden wegduckt. Wir entschließen uns zu einem Abstecher nach Chukung. Das Dorf liegt auf 4.783 Metern Höhe. Die Häuser sind weit verstreut. Hinter aufgeschichteten Steinmauern haben die Sherpa Felder angelegt, auf denen sie Kartoffeln anbauen. Unser Ziel ist der Chukung Ri (5.546 m). Der Gipfelanstieg ist technisch kein Problem, aber die extrem dünne Luft macht uns zu schaffen. Um uns herum reihen sich der Lhotse (8.516 m), der Makalu (8.463 m) und eine ganze Palette von Sechs- und Siebentausendern auf.
Tief unter uns liegen die Gletscher des Nuptse, des Lhotse, des Amphu Massives und der Ama Dablam. Unglaubliche Massen von Eis fließen hier zusammen. Mir wird jetzt klar, was Günter Dyhrenfurth bewegt hat, vom dritten Pol zu sprechen. In der bescheidenen Lodge von Chukung sind wir froh, dass die Wirtin ordentlich Yakmist in den Ofen wirft. Die Wärme tut gut. Wir kehren zurück nach Dingpoche und übernachten dort.
Früh am Morgen steigen wir über die Endmoräne des Khumbu-Gletschers in das 4.930 Meter hochgelegene Dorf Lobuche auf. Der Gletscher bietet hier keinen schönen Anblick. Unmassen von fein zeriebenem Gestein liegen über dem Eis. In Lobuche empfängt uns der Wirt in perfektem Deutsch. Er war Schüler des Goethe-Instituts in Kathmandu.
An dieser Stelle möchte ich mal auf ein ganz profanes Problem hinweisen. In diesen Höhen ist es sehr wichtig, dass man tagsüber vier bis fünf Liter Flüssigkeit in sich hineinschüttet. Die wollen wieder raus. Meistens nachts, wenn man im warmen Schlafsack liegt. Draußen herrschen um diese Zeit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Da muss man halt durch, und das mehrfach. Ach ja, Stirnlampe nicht vergessen, damit man den Rückweg durch die pechschwarze Nacht findet.
Von Lobuche nach Gorak Shep führt der Weg am Khumbu entlang und steigt gemächlich auf 5.200 Meter an. Den Weg zum berühmten Base Camp spare ich mir. Müllhalden finde ich anderswo genug. Viel lohnender ist es, auf den Kala Patthar zu steigen, einen harmlosen Hügel mit einer Höhe von 5.545 Metern. Der Kala Patthar hat andere Qualitäten. Nebenan liegt zum Greifen nahe der Pumo Ri (7.145 m). Direkt gegenüber türmt sich der Khumbu-Eisfall auf, eingerahmt vom traumhaft schönen Nuptse. Darüber steht der Welthöchste, ganz nah. Von keinem anderen Platz kann man ihn besser sehen – wenn das Wetter mitspielt.
Wir jedenfalls haben Pech. Das ganze Traumpanorama versteckt sich hinter einem dichten Wolkenband. Die Freunde steigen ab. Ich will es nicht fassen. Vier Stunden verweile ich auf dem Gipfel des Kala Patthar. Die Haut brennt vom Sturm, der mir durch das Gesicht fetzt. Der rechte Zeigefinger zeigt bereits eine leichte Erfrierung. Der Akku meiner Kamera hat bei der Kälte seinen Geist schon längst aufgegeben. Mit ordentlich Frust im Bauch trete ich den Rückzug an. Auf halben Wege nach unten reist der Vorhang für wenige Sekunden auf und die Göttinmutter der Erde zwinkert herüber, als wollte sie sagen: Komm mal wieder vorbei!
Und ich komme wieder: Im nächsten trekking-Magazin (ab 12. Juli im Handel) wandern wir durch das Marsyangdi-Tal zur Annapurna und über den berüchtigten Thorong-La (Pass) nach Lo-Manthang, der Hauptstadt des »verbotenen Königreichs« Mustang. ■
Text/Bilder: Michael Bauer
Daten und FaktenKurze Geschichte Viele Jahrhunderte lang war Nepal ein feudalistisches Königreich. Der Hinduismus ist Staatsreligion und prägt das Land. Unter den Mallakönigen entwickelte sich um das 14. Jahrhundert im Kathmandutal eine Hochkultur, in der die Königsstädte Kathmandu, Patan und Bhaktapur entstanden. Sie gehören heute zu den Weltkulturerben der UNESCO. 1768: Der Gorkha-Prinz Narayan Shah greift nach der Macht und vertreibt die Mallas in kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem Kathmandutal. 1846: Es kommt zu dem berühmten »Festungsmassaker«, bei dem alle staatsführenden Kräfte ermordet werden. Ein Offizier stürzt den König und ruft sich selbst zum Rana (Herrscher) aus. Der vorläufig letzte Shah findet Asyl in Indien. 1951: In Nepal wächst der Wunsch nach Reformen. Tribhuvan Bikram Shah kehrt aus dem Exil zurück und bildet zunächst mit den Ranas eine Koalition. 1962: König Mahendra Bikram Shah verbietet alle politischen Parteien und führt ein System ein, das seine Alleinherrschaft garantiert. 1972: Sohn Birendra wird König und führt das Erbe seines Vaters fort. Im Land wird der Ruf nach Reformen immer lauter. Besonders die Maoisten finden unter der Landbevölkerung immer mehr Anhänger. Birendra reagiert und lässt Wahlen zu. Die ständigen Regierungswechsel beunruhigen das Volk. 2001: Ein Massaker löscht nahezu die ganze Familie des Königs aus. Die Schuld wird dem Kronprinzen Dipendra zugeschoben. Er stirbt an einem Kopfschuss, den er sich selbst beigebracht haben soll. Der jüngere Bruder des Königs, Gyanendra, übernimmt die Thronfolge. Im Gegensatz zu Birendra ist er beim Volk unbeliebt und findet keine Anerkennung. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Gyanendra habe das Attentat eingefädelt. 2006: Nepal erlebt einen Bürgerkrieg. Das Königreich zerbricht. Nepal wird heute von einer Koalition vieler Parteien regiert, die sich auf einen »Minimalkonsens« geeinigt haben. Das Land gilt trotz großer Probleme als sicher. Als Trekker spürt man nichts von den enormen politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten . Geografie Nepal ist mit 147.181 Quadratkilometern fasst doppelt so groß wie Österreich. Der höchste Punkt liegt auf 8.848 Metern, der tiefste nur 70 Meter über NN. Der Süden gehört zur regenreichen subtropischen Zone mit großen Niederschlägen in der Monsunzeit. Der Norden zählt zu den trockensten Gebieten der Erde. Trekkingveranstalter in Deutschland Ein großes Angebot findet man beim DAV Summit Club (www.dav-summit-club.de), bei Hauser Exkursionen (www.hauser-exkursionen.de) und bei Amical (www.amical.de). Die Touren dauern ca. 20 Tage, Preis ab ca. 2.100 Euro. Beste Reisezeit Oktober bis März. Im Herbst ist die Sicht auf die Berge etwas klarer als im Frühjahr. Das Frühjahr hingegen besticht durch eine einzigartige Blütenvielfalt. |