Naturparadies in den französischen Alpen
Schon merkwürdig: Alle lieben die Alpen, aber kaum einer kennt den Vercors. Aber wenn sich im Winter eine dicke Schneedecke über die abgeschiedene französische Bergwelt legt, kommen Naturliebhaber und Genießer aus dem Staunen und Schwelgen nicht mehr heraus.
Text/Fotos: Patrick Kunkel
Ein Donnerschlag hallt durch den Talkessel. Franck Grabias blickt auf. Richtung Steilwand. Noch ein Knall. »Gut, dass sie jetzt sprengen«, kommentiert der Franzose. »War dringend nötig.« Nachts hat sich frischer Pulverschnee über die Steilhänge gelegt, ein halber Meter, der aber auf der verharschten Schicht Altschnee kaum Halt findet. Schlecht für die Skifahrer und Schneeschuhläufer, die hier ihre Spuren ziehen. Gresse, Grabias Heimatort, liegt genau am Fuß einer langen Bergkette, die das französische Vercors-Gebirge einmal von Nord nach Süd durchzieht. Der Gebirgsstock befindet sich im äußersten Westen der französischen Alpen.
Was für ein Land: Die steilen Felswände des Vercors erheben sich wie eine gigantische Festung aus Kalkfels aus den Tälern von Rhône, Isère und Drôme, tiefe, enge Schluchten haben das Hochplateau zerfurcht. Der Vercors ist nur durch schwindelerregende, in die Felswand gesprengte Bergstraßen zugänglich; sein Hauptkamm erreicht mit dem Grand Veymont 2.341 Meter Höhe. Seine karstige Steilwand überragt das Tal von Gresse und bildet eine großartige, tief verschneite Gebirgskulisse.
Im Schatten des Giganten drehen Langläufer auf frisch gespurten Loipen ihre ruhigen Runden, die wenigen präparierten Abfahrtspisten sind vor allem von Familien mit Kindern bevölkert – der Skirummel hält sich in Grenzen, drumherum locken Einsamkeit und die Verheißung auf unberührte Steilhänge eher Schneeschuhgänger und Tourengeher in die ruhige Winterwelt.
Yoga-Übungen im Tiefschnee, danach Schwitzkur
Da! Die nächste Detonation durchschneidet die Stille. Dann ein tiefes Grummeln. Ein Schneebrett rauscht gen Tal. »Beruhigend«, findet der Bergführer. Kein Wunder, vor elf Jahren hatte ihn eine Lawine begraben, ein Missgeschick. »Es war knapp. Aber sie haben mich wieder zusammengeflickt.«
Als Bergretter patrouillierte er damals in den alpinen Skigebieten von Neuseeland, zurück in der Heimat lässt es der schlaksige Mittvierziger heute ruhiger angehen. Keine Bergrettung mehr. Keine alpinen Risiken. Gemeinsam mit seiner Frau Hélène Levadoux führt er eine kleine Pension in dem etwas abgelegenen Bergdorf Gresse. Wintertouristen können bei ihnen auch heute noch alles über Lawinen und Sicherheit lernen – natürlich – aber Franck und Hélène konzentrieren sich jetzt lieber auf Schneeschuhwanderungen und die Yogakurse, die sie für ihre Gäste anbieten. »Am liebsten beides zusammen«, sagt Hélène und grinst. Yoga auf Schneeschuhen?