Gibt es im gut erkundeten Südtirol eigentlich noch Geheimtipps? Und ob! Etwa in einem kleinen Seitental am Fuße des Ortlermassivs. Hier wandert man von uralten Bergbauernhöfen zu mystischen Urlärchen und architektonischen Zeugen einer illustren Vergangenheit.

Südwestlich von Meran legt das rasante Tempo der Welt eine Vollbremsung hin. Abseits von Apfelplantagen und Weinhängen, von mondänen Kurpromenaden und geschäftigen Laubengassen führt unser Weg über eine kurvenreiche Straße immer tiefer in das rund 40 Kilometer lange Ultental. Hinein in eine Landschaft aus Wäldern, Steilwiesen, Almen und unzähligen alten, von Wind und Wetter gegerbten Bauernhöfen. Es scheint, als habe die Zeit irgendwann einmal für sich entschieden: Hier gefällt es mir, hier bleibe ich stehen und lege eine Verschnaufspause ein.

HINTER DER SCHÖNHEIT WIRD’S INTERESSANT
Val d’Ultimo – das letzte Tal – heißt das Ultental in deutscher Übersetzung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Gegend nur äußerst mühsam zu erreichen. Erst 1907 wurde der Saumweg durch eine schmale Straße ersetzt. Lärmenden Durchgangsverkehr gibt es bis heute keinen. In St. Gertraud im Nationalpark Stilfser Joch endet das Sacktal auf ca. 1.500 Meter Höhe. Dahinter nichts als Wald und die sich himmelwärts auftürmenden Gesteinsriesen der südlichen Ortlergruppe. Allen voran der schneeweiß gefleckte Gipfel der Hinteren Eggenspitze (3.443 m).

Dass diese gepflegte Urtümlichkeit selbst von den landschaftlich verwöhnten Südtirolern als etwas ganz Besonderes empfunden wird, davon hatte mir vor einigen Jahren Kräuterbäuerin Priska Weger aus Schenna berichtet: »Wenn du noch ein richtig uriges Tal mit bäuerlichen Strukturen entdecken möchtest, dann musst du dorthin«, hatte sie gesagt – und vom Ultental als eines der schönsten Täler in Südtirol geschwärmt.