Wer in den Süd- oder Hochvogesen unterwegs ist, der wandert auf einsamen Pfaden durch dichte Bergwälder und von den Hochweiden bieten sich fantastische Fernblicke bis hinüber zu den Anhöhen des Schwarzwalds und den Alpen. Bei einer Wan-derung durch das Mittelgebirge hat man es aber auch mit alpinen Anforderungen zu tun.
Im Bett liegend lauschen wir mitten in der Nacht dem ohrenbetäubenden Lärm des Donners. Das Gewitter mit seinen, wie es scheint, sintflutartigen Niederschlägen entlädt sich direkt über unserer Unterkunft, der Ferme-Auberge du Felsach. Der Regen prasselt auf das Dach und Blitze erhellen die stockdüstere Nacht. So geht das eine ganze Weile, bis das Unwetter weiterzieht. Nachdem es kaum noch zu hören und nur noch ein leises Grollen aus der Ferne zu vernehmen ist, schlafen wir wieder ein.
Am nächsten Morgen lacht uns ein strahlend blauer Himmel an. Aus den umliegenden Wiesen dampft die Feuchtigkeit empor. Wir können uns alle drei nicht daran erinnern, jemals ein so heftiges Gewitter erlebt zu haben. Gut, dass wir in dem alten, massiv gebauten Bauerngasthof untergebracht sind. Dies war die erste Lektion, die wir hier in den Vogesen erhalten haben. Von wegen, dass es solche heftigen Unwetter nur im Hochgebirge, etwa den nahe gelegenen Alpen, gibt. Immerhin liegt die Ferme-Auberge du Felsach auf einer Höhe von 1.080 Metern.
Am Vorabend sitzen wir auf der urgemütlichen Terrasse des alten Bauernhofs mit einem tollen Blick auf das Vallée de la Thur und den Drumont. Der Berg liegt unweit der Quelle der Mosel. Bis zu den Berner Alpen können wir allerdings wegen des diesig verhangenen Himmels nicht schauen.
Die Menükarte bietet beste elsässische Küche mit Flammkuchen, Käse und vorzüglichen elsässischen Weinen. Der Chef des Hauses setzt sich zu uns und erweist sich als sehr gesprächig. Er erzählt uns Geschichten aus der Region, waren doch Elsass und Lothringen lange Zeit ein Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland. Er berichtet auch davon, wie er, der mit einer Deutschen verheiratet war, mit seiner Frau in den Jahren nach 1945 in der Öffentlichkeit nicht Deutsch sprechen konnte. Er und seine Frau nannten ihre im verborgenen gehaltenen Gespräche auf Deutsch »Kopfkissengeflüster«. Zu präsent waren damals noch die Erinnerungen an die Besatzung des Elsasses durch die Wehrmacht und die gewaltsame Germanisierungspolitik, bei der 45.000 Menschen aus dem Elsass ausgewiesen und deportiert wurden.
Heute ist das Elsass eine Modellregion für die deutsch-französische und europäische Annäherung – und das ist gut so, darin sind wir uns einig. Der Wirt berichtet uns auch davon, wie sich die Klimakrise in den Vogesen bemerkbar macht. Abgesehen von den Fichten leiden hier besonders die Eschen und die Ulmen unter den extremen Wetterverhältnissen und dem Pilzbefall. Er zeigt auf einige Ulmen, die jetzt schon – wir haben gerade erst Mitte August – eine Herbstfärbung zeigen.
WÄLDER, SO WEIT DAS AUGE REICHT
Aufgebrochen zu unserer Tour sind wir in Thann. Das Städtchen liegt in den Vorbergen der Vogesen und gehört bereits zum Regionalen Naturpark Ballons des Vosges. Wir machen uns auf, die Hochvogesen zu durchwandern, die sich von hier aus in nördlicher Richtung erstrecken. Und gleich am ersten Tag muss ich alle Vorurteile über vermeintlich anspruchslose Mittelgebirgswanderungen über Bord werfen. Es ist eine weitere Lektion, die ich hier aufgetischt bekomme. Auf dieser Etappe mit ihren rund 20 Kilometern Länge steigen wir über 1.000 Höhenmeter. Im Wanderführer wird sie auch als schwarze Tour eingestuft.
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